BIOGRAFISCHES

Am 30. Januar 1954 erblickte ein Kleinkind namens Jochen das Licht der Welt. Er war der jüngste Sohn der Kowalskis - "der Kleene", der nach seinen Brüdern Gerhard (heute Journalist in Berlin) und Reinhard (der den elterlichen Betrieb übernahm) geboren wurde. Kindheit und Jugend verbrachte der spätere Opernstar in Wachow, einem kleinen Dorf in der Nähe von Brandenburg, wo seine Eltern einen Fleischerladen betrieben. Die waren große Musikliebhaber, vor allem Operetten rührten sie des öfteren zu Tränen. Die Mutter präsentierte ihre schöne Stimme, die Kowalski als warmherzig und rein beschreibt, in der dörflichen Kirche. Nach Kowalski ein Indiz dafür, wem er seine musikalische Begabung und seine Stimme zu verdanken hat.
Im Filmporträt "Verwirrung und Entzücken - Der Stimmzauber des Jochen Kowalski" von 3sat und ZDF (1996, Autorin: Jutta Louise Oechler) erzählt Kowalski amüsante Anekdoten aus jener Zeit in der Mark Brandenburg. Sie vermitteln den Eindruck einer behüteten Kindheit auf einem idyllischen Fleckchen Erde.
In einer spielt die elterliche Fleischerei eine entscheidende Rolle:

Nachdem Kowalski von seinen Eltern ein Grammophon geschenkt bekommen hatte und so das erstemal mit der Oper in Kontakt gekommen war, begann er im Schlachthaus der Fleischerei zu üben, da er hier die Akustik als ausreichend für seine Gesangskünste erachtete. Er sang alles, was ihm unter die Ohren kam, unabhängig von Stimmlage oder Schwierigkeitsgrad, vorzugsweise, wenn die Eltern außer Haus waren, und er sich ungestört fühlen konnte.
Viel später stellte er dann fest, daß die Akustik des Schlachthauses alle Erwartungen übertroffen hatte, und sämtliche Nachbarn in die musikalischen Ergüsse des Teenagers miteinbezogen worden waren, welche das ausdauernde Üben schon nur noch mit einem müden Lächeln kommentiert hatten: ach, Jochen singt wieder!
 

Nach dieser Geschichte zu urteilen, waren es wohl die Nachbarn der Wachowschen Fleischerei, die als erste in den Genuß der Stimme des heute weltweit bekannten Altisten kamen. Ob sie die Karriere ihres "lärmenden" Nachbarsohnes jedoch damals schon voraussahen, bleibt zu bezweifeln. Für Kowalski aber stand schon fest, daß er einmal ein "großer Sänger" werden wollte. Romantisierend berichtet er heute, wie er sich dies im Angesicht der fallenden Sternschnuppen am sommerlichen Dorfteich wieder und wieder gewünscht hat.
Als Jochen Kowalski nach dem Abitur mit 18 Jahren sein idyllisches, aber beengendes Dörfchen verließ, konnte er zuerst einmal nur auf eine bescheidene Karriere im Schulchor zurückblicken, aber seine Ziele waren klar; spätestens nach einer Lohengrin-Aufführung an der Deutschen Staatsoper zu Berlin stand Kowalskis Entschluß fest: Ich will zur Oper. Begonnen hat er im wahrsten Sinne des Wortes ganz unten, nämlich im Requisitenkeller der Lindenoper. Als heimlicher Beobachter des täglichen Opernbetriebes lernte er hier von der Pike an, was Oper bedeutet. Fortan träumte er vom großen Auftritt als Heldentenor - in silberner Rüstung, auf einem weißen Schwan vorm blauen Horizont der Bühne. Das mit dem Tenor klappte nicht - anfängliche Ablehnungen an der Musikhochschule Hanns Eisler Berlin, schließlich doch die Aufnahme, ein eher qualvolles Studium (1977-83), das, um zum Abschluß führen zu können, noch um ein Jahr verlängert wurde usw.. - Was erst mit dem Privatunterricht bei Marianne Fischer-Kupfer klar wurde - Kowalski war Altus.

 
Aus einem Arienalbum wählte Kowalski das Largo Ombra mai fu (Händel, Xerxes), um es Frau Fischer-Kupfer vorzutragen. Nach anfänglichen Protesten der Gesangslehrerin - die Arie war hier für Bariton vorgesehen - setzte Kowalski beherzt an und raubte mit seiner "Händelschen" Stimme Frau Fischer-Kupfer den Atem. Nach der letzten Note, Frau Fischer-Kupfer hatte sich offensichtlich wieder gefangen, schlug sie das Klavier zu, umarmte den jungen Sänger und bestimmte sein weiteres Schicksal: Dein Wagner heißt jetzt Händel.

Und so setzte Kowalski nicht fort, was er als Lehrjunge in Wagners Meistersängern von Nürnberg (1981) an der Komische Oper begonnen hatte. Seinen Vorbildern, Tenören wie Fritz Wunderlich und Richard Tauber, ist er dennoch bis heute treu geblieben.
1982 - die Existenz des Berliner Altus muß den Hallensern irgendwie zu Ohren gekommen sein - bekam Kowalski eine Einladung zum Vorsingen für die Händel-Festspiele. Es folgte ein "Crash-Kurs" in Barock-Gesang und einige Monate später der Auftritt im Muzio Scaevola (Händel, Mattei, Bononcini). Ein weiteres Mal spielte die Familie Kupfer Schicksal. Diesmal war es Erfolgsregisseur Harry Kupfer, der Kowalski aus Halle an die Komische Oper Berlin holte (1983). - Welch ein Glück für den "eigensinnigen Jungaltisten", dem schon klar war, daß für ihn die Alte Musik nicht zum Einzigen und Wahren werden sollte. Kupfer kam dem entgegen und legte Kowalski von Beginn an nicht auf Barockes fest. Nachdem das Gesangsexamen mit der Rolle des Didimus in Händels Theodora (Halle) überstanden war, gab Kowalski sein Debüt an der Komischen Oper mit der Mezzosopran-Partie des Fjodor in Boris Godunow (Mussorgski). 1984 folgte dann die Titelrolle in Händels Guistino. Die rührende Oper des Bauernhelden wurde zum Publikumserfolg und hat heute (teilweise mit Axel Köhler als Guistino) schon mehr als hundert Aufführungen hinter sich.
Spätestens zu diesem Zeitpunkt wurde klar - die Sternschnuppen waren ihrem Ruf gerecht geworden und hatten den heimlichen Wunsch mindestens eines "lagerfeuernden", Wachowschen Teenagers erfüllt. Doch wie so oft, wurde dem Wünschenden ein Schnippchen geschlagen. Im konkreten Fall war es die außergewöhnliche Stimme. - Kowalski singt nicht mit Falsettstimme, sondern seine hohe Stimmlage ist ganz natürlich. Damit hat er sich bis heute nicht 100%ig abgefunden. Und das sei kein fishing for compliments, wie er immer wieder betont. Er wurde zum Sänger und "Exoticum" und als solches in der Kleinbürgerlichkeit der DDR-Enge hofiert. Es folgten Fernseh(pflicht-)auftritte in allen renommierten Shows des DDR-Fernsehens. Das hatte aber auch 'was für sich: Kowalski brachte es zu Gastverträgen mit westlichen Opernhäusern. Axel Köhler, Kowalskis heutiger Sängerkollege an der Komischen Oper, hat sich nicht zuletzt aus diesem Grunde ebenfalls zu einer Countertenorkarriere entschlossen.
1985 reiste Jochen Kowalski zu einem Engagement an die Hamburgische Staatsoper. Es war der erste Ausflug in eine fremde Welt.

Auf seinem Weg zum Hamburger Hotel imponierten Kowalski vor allem die Schaufensterpuppen. Sie waren von ungekannter Eleganz und Mondänität. In den folgenden Tagen stürzten so viele neuartige Eindrücke auf ihn ein, daß er sich nicht in der Lage fühlte, auch nur ansatzweise konzentriert zu arbeiten. Als er dann das erstemal eine Vorstellung in der Staatsoper besuchte, konnte er über die anderen Gäste nur staunen. "Die sahen alle aus, wie aus dem Stern oder der Bunten. "Kowalski überkam eine solche Scham über sein "Ossi-Outfit", daß er sich bis zum Ende der Pause auf der Toilette einschloß, um dann das Opernhaus ungesehen zu verlassen.
Zurück im heimatlichen Berlin lag er tagelang wie paralysiert auf seinem Sofa und starrte an die Decke. Dennoch wäre Kowalski nie im Westen geblieben, das wußte er vom ersten Tag an.
 

Ironie des Schicksals, daß der "Westen" ihn dann doch "ereilte" und er sogar ein kleines bißchen dazu beigetragen hat. Als es 1989 einen Teil der Bevölkerung zu Protesten in die Kirchen trieb, war auch Kowalski mit dabei. - Das war er seinem Gewissen schuldig. Und schließlich: "Das hat man nur einmal im Leben, in einer solchen Zeit dabeizusein." (Filmporträt ZDF/3sat)

 
Der Festakt zum 40. Jahrestag der DDR fand im Oktober 1989 im Palast der Republik statt. Vor den Türen formierte sich schon der Widerstand. Auch Kowalski wurde für die Show zwangsverpflichtet. Dem Gewissen verpflichtet, wollte man sich einen Gast erwählen, für den die Darbietungen lohnten. Die Wahl fiel sicherlich nicht schwer und auf Michail Gorbatschow nebst Frau Raisa. Die schaurige Nachricht nach der ersten "Nummer": Gorbatschow war gegangen. Bei Kowalski saß der Schreck so tief, daß er - nur Schatten seiner selbst - an seine Händel-Arie ging. Er setzte zu früh ein und schmiß die Arie, was ihn später als vermeintlicher Protestakt zu "unverdienten" Ehren kommen ließ. Die Wahrheit: in diesem Moment war Jochen Kowalski so wenig Sänger und so sehr "DDR-Bürger", daß ihm alles ganz egal war.

35 Jahre "Ossi", 18 Jahre Dorf machten Jochen Kowalski zu dem, was er ist. "Man kann seine Herkunft nicht abschütteln und ich möchte es auch nicht." (Filmporträt ZDF/3sat) Mit bewundernswerter Konsequenz steht der Wachowsche Fleischerssohn dazu. Das sei sein Leben, das er mit 17 Mio. anderen geführt habe: "zu denen gehöre ich" (Filmporträt ZDF/3sat).
Die Wende, für viele gestandene DDR-Künstler das Ende ihrer beruflichen Laufbahn, überstand Kowalski gut. Seine Karriere bekam keinen Knick - im Gegenteil. 1994 wurde Jochen Kowalski zum Berliner Kammersänger ernannt. CD's (Solo- und Sampler) gibt es inzwischen in Hülle und Fülle, sogar Videomitschnitte und Fernsehaufzeichnungen verschiedener Opernaufführungen. Fans hat er mittlerweile rund um den Erdball. Gastspiele führen ihn durch ganz Europa und in den fernen Osten nach Taiwan und vor allem Japan, wo man ihn liebevoll Mister Kowa-chan nennt. Nach der Fernsehübertragung der Fledermaus von Strauß in einer Inszenierung der Wiener Staatsoper 1994, wurde Kowalski sehr populär in Japan und hat dort inzwischen wohl seine größte und treueste Fangemeinde. Aber Kowalski bleibt auf dem Teppich und in Berlin, wo ihm die Komische Oper ein Zuhause bietet.
Hier ist er auch regelmäßig mit seiner Lieblingspartie zu sehen: der Orpheus in Glucks Orfeo ed Euridice ist Kowalskis Traumrolle. Die Inszenierung von Harry Kupfer (1987) wurde zum Welterfolg und bekam diverse Auszeichnungen. Den Orpheus singt Kowalski mit ganzer Hingabe - auch noch in der 96. Aufführung.
Der Facettenreichtum seines Könnens wurde inzwischen zu einem von Kowalskis Markenzeichen. Er entspricht nicht dem Typus des steifen Fach-Sängers und paßt in keine Schublade. Kowalski sucht die Herausforderung und geht neue Wege. Auch auf die Gefahr hin, sich dabei zu verlaufen, lotet er seine Grenzen aus. Sein Repertoire reicht von Händel über Schubert bis zum "profanen" Schlager der 20er und 30er Jahre und ist nicht einmal auf Musikalisches beschränkt. Das beweisen Ausflüge in die Moderatorentätigkeit. Zusammen mit Michael Bartlett gestaltete er die Dokumentation "Engel wider Willen", die sich mit dem Kastratenphänomen beschäftigt. Und 1997 moderierte er zusammen mit Senta Berger die Gala zur Echo-Klassik-Preisverleihung für's ZDF. Kowalski ist für Experimente zu haben, setzt aber dennoch klare Grenzen. Er lehnt auch schon 'mal ab, wie beispielsweise die Rolle des Farinelli in Farinelli oder Die Macht des Gesanges von Matthus (Begründung: Farinellis Gesang kann man heute nicht mehr gerecht werden). Auch Frauenrollen würden für den Altisten nie in Frage kommen.
Kowalski war der erste Alt-Orlofsky in der Fledermaus (J. Strauß). Auch an der New Yorker Metropolitan Opera gab er (1994 u. 1995) den dekadenten Russen.

1994 war Jochen Kowalski das 1. Mal an der Met zu hören. Die New Yorker, eigentlich als Trendsetter und Innovatoren bekannt, waren in diesem Fall von der (alten) Neuartigkeit einer solchen Stimme überrascht und so mußte Kowalski erstauntes Gelächter vernehmen, bevor ihm die sonst gewohnten Ovationen zuteil wurden. Heute ist der "Kowalski-Orlofsky" Kult in New York und es sieht so aus, als ob jenseits des großen Teiches eine Lawine losgetreten wurde, die dem Publikum zahlreiche junge Countertenöre, wie Derek Lee Ragin, Brian Asawa und David Daniels usw., bescherte.
 

Der Oberon in Brittens A Midsummer Nights Dream (Saison 1996/97) an der Met war ein weiterer Meilenstein in Kowalskis Karriere, zumal man den Eindruck gewinnen kann, daß die Rolle an der Met zur Feuerprobe für junge Countertenöre geworden ist.
Auch um Avantgardistisches macht Kowalski keinen Bogen. Liebermann wollte ihn als verführerischen Kreon in seiner Tragödie Freispruch für Medea (Hamburgische Staatsoper, 1995) und war begeistert. Eine Satire sollte folgen - die Titelpartie geschrieben für Kowalski.
Kowalski liebt Fritz Wunderlich und eifert ihm in manchem nach. Die Schöne Müllerin (Schubert), die 1994 zum ersten Mal erklang, ist eins der sich häufenden Liederabend-Programme. Sein Ideal ist Wunderlich. "Ich hör' mir seine Schöne Müllerin mit dem Pianisten Hubert Giesen an, manchmal wöchentlich zweimal. Es ist so nobel, so von Herzen, ohne allen Schnickschnack. er trifft den direkten Weg ins Zwerchfell, ins Herz, in den Kopf, in die Seele des Zuhörers." (Boris Kehrmann "Ich bin verrückt nach Melodien, Jochen Kowalski - ein Porträt" in Opernwelt, April 1997, S. 27) - Nebenbei findet sich da ein Schlüssel zu Kowalskis Selbstverständnis - den Zuhörern ins Herz, nicht nur ins Ohr singen - das ist das Ziel.
Roger Willemsen ("Willemsens Woche", 1996) bekannte der Weltstar, seine eigenen Einspielungen höre er ungern. Nur den Orpheus könne er ertragen. Das hat aber hoffentlich nichts mit der Stimmlage, sondern der märkischen Bescheidenheit und dem ständigen Nicht-Mit-Sich-Zufriedensein zu tun, Eigenschaften, die er von den Eltern mitbekommen hat. Im Gegenzug dafür gaben sie ihm aber auch eine innere Säule, eine Gelassenheit und Ruhe, die er nicht missen möchte.
Kowalskis Credo: ""Man darf nicht alles zu ernst nehmen, vor allem sich selber nicht", sagt er lachend und greift sich wie zum Beweis eine Werbe-Papp-Figur der Komischen Oper, die ihn (...) zeigt: "Ich kann mich auch selber auf den Arm nehmen ..."" (Barbara Jänichen, "Ein Sänger, der sich selbst auf den Arm nimmt" in Berliner Illustrierte Zeitung vom 17. August 1997)

Jochen Kowalskis zweite große Leidenschaft ist das Kino. Vor allem alte Ufa-Filme haben es ihm angetan und in den höchsten Tönen schwärmt er von der unverwüstlichen Marika Rökk. In "B fragt ...", einer Sendung des WDR überraschte Kowalski nicht nur die Moderatorin, sondern auch Ufa-Schauspielerin Carola Höhn mit seinen Detailkenntnissen zu jedem erwähnten Film (Sendung vom 21.03.1997).

 
Da es in Deutschland schwierig ist, Videos alter Ufa-Klassiker zu erwerben, kaufte sich Kowalski auf einer Tournée durch Japan einen Video-CD-Player samt einer Kollektion deutscher Filmklassiker. Der Haken an der Sache - japanische Untertitel.

Auf dem Höhepunkt seiner Karriere wünscht sich Jochen Kowalski, einmal in New York in einem (guten) Musical auf der Bühne zu stehen. - Vielleicht wird's ja was?

Bleibt (dem Publikum) zu wünschen, daß diese biografischen Bemerkungen in den nächsten Jahren zum Problem für die Speicherkapazität der FAN-PAGE werden mögen, und der Zuwachs an Informationen über Jochen Kowalskis gefeierte Auftritte an der Komischen Oper, in Berlin, im Ausland, Einspielungen, Moderationen, Zeitungsinterviews, Talkshows, vielleicht Film- oder Fernsehrollen, das Musical, lustige Begebenheiten, Autogrammstunden, Treffen mit Fans, Lächeln für Fotos, usw. ...

niemals enden möge.


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