Home
zurück
|
Der Neubau der BR23 bei der DR:
- als BR23.10 (später zur BR35.10 umgezeichnet)
Die Baureihe 23.10 war, wie die Baureihe 23 bei der
DB und die Baureihe 23 bei der DRG, als Ersatz für die Baureihe 38.10-40,
die bewährte preußische P8, gedacht. Wenn die BR23 bei der DRG über
zwei Baumusterlokomotiven nicht hinauskam, lag das am Zweiten Weltkrieg.
Weder die 105 DB-23er noch die 113 Lokomotiven der BR23.10 bei der DRG
konnten die preußische P8 ablösen. Der sich abzeichnende Traktionswandel
machte den Bau weiterer Lokomotiven überflüssig.
Der
erste Entwurf zur BR23.10 stammt vom März 1954 und war im Institut für
Schienenfahrzeuge (IfS) Berlin-Adlershof nach einer vom Lokomotivausschuß
der Deutschen Reichsbahn vorgegebenen Projektskizze entstanden. Im
Grundprinzip orientierte sich der Entwurf an den Einheitslokomotiven, berücksichtigte
jedoch neue Erkenntnisse im Lokomotivbau. So sollte der Kessel geschweißt
werden, eine Verbrennungskammer und eine Mischvorwärmeranlage erhalten.
Anleihen beim westdeutschen Lokomotivbau waren offensichtlich der Heißdampfregler,
die Druckluft-Öl-Umsteuerung Bauart Henschel und die im Laufblech
angeordneten Sandkästen. Das Führerhaus sollte ähnlich dem Norweger-Führerhaus
vollständig geschlossen und mit dem Tender durch einen Faltenbalg
verbunden sein. Der vierachsige Drehgestelltender sollte 34 m3 Wasser in
einem wannenförmigen Wasserkasten und 14 t Kohle aufnehmen. Dieser
Entwurf ist in einer Reihe von Besprechungen des Technischen Zentralamts
der Reichsbahn mit dem IfS einerseits, des VEB Lokomotivbau "Karl
Marx" Babelsberg als Hersteller mit Vertretern der Fahrzeug-
Versuchsanstalt (FVA) Halle andererseits beraten und geändert worden.
Einige Punkte des Änderungskataloges waren u.a.:
-
Steigerung der Leistung auf 150% gegenüber
der preußischen P8,
-
spezifische Heizflächenbelastbarkeit
von 75 kg/m2h in der Beharrung,
-
Verbesserung des Kesselwirkungsgrades,
-
Erhöhung der Radsatzfahrmasse auf 18 t
und der Reibungsmasse von 52,2 t auf 54 t,
-
Reduzierung der Dienstmasse um 2
t auf
83,5 t sowie
-
höhere Kesselmitte als
3.050 mm ü. SO.
Der zweite Entwurf lag dem
TZA der Generaldirektion der Deutschen Reichsbahn schon am 30.06.1954
vor und kam der späteren Ausführung bereits recht nahe. Auf Vorschlag
der FVA Halle war man vom großen Wannentender abgekommen (das IfS bot
einen 2’2’T26 mit 8 t Kohle) und hatte das Führerhaus der BR03
verwendet. An die Stelle der Adamsachse war beim hinteren Laufradsatz das
Bisselgestell getreten. Das IfS hatte bewährte Baugruppen von den
Neubaulokomotiven der BR25 und BR65.10 verwendet und parallel zur BR23.10
die in vielen Teilen baugleiche 1’Eh2-Güterzuglokomotive der BR50.40
entworfen. Am 10.09.1955 erteilte die Hauptverwaltung der
Maschinenwirtschaft der DR LKM Babelsberg den Auftrag über je zwei
Baumusterlokomotiven der Baureihen 23.10 (1’C1’h2) und 50.40 (1’Eh2), die im I. und II. Quartal 1956 zu liefern waren.
Babelsberg
kam jedoch durch Schwierigkeiten mit der Zulieferindustrie
in Verzug und konnte erst im Januar 1957 die erste Baumusterlokomotive,
die 23 1001, auf Werksprobefahrt schicken. Die Versuchsfahrt führte von
Drewitz über Michendorf nach Belzig und zurück, teilweise als Lastfahrt,
teilweise als Leerfahrt, und verlief ohne Beanstandungen.
Anschließend
kam die 23 1001 zur FVA Halle und ist vor Beginn der meßtechnischen
Untersuchungen vor Zügen des öffentlichen Verkehrs eingefahren worden.
Gleiches geschah mit dem zweiten Baumuster, der 23 1002, das im
Februar bei der FVA Halle eingetroffen war. Beide Lokomotiven fanden im
Sonderverkehr zur Leipziger Frühjahrsmesse Verwendung und sind auf diese
Weise der Öffentlichkeit vorgestellt worden.
Ende
März 1957 hatte man eine Liste konstruktiver und fertigungstechnischer Mängel
zusammengestellt, die LKM zur Berücksichtigung für den Serienbau
erhielt. Die Liste enthielt 173 Positionen. Das klingt besorgniserregend,
ist es aber nicht, wenn man weiß, daß eine im RAw nach den Schadgruppen
L 3 oder L 4 aufgearbeitete Lokomotive schon von der Leerprobefahrt bis zu
70 Mängel notiert bekommt. Ein nicht geringer Teil der bei den beiden
Baumustern angezeigten Mängel betraf fertigungstechnische Unzulänglichkeiten.
So ließ sich der Kolbenschieber rechts nur von hinten einbauen, der
Steuerbock behinderte den Ausbau des Führerbremsventils, und der Stahl für
die Tragfedern taugte nichts. Nennenswerte konstruktive Änderungen waren:
-
Fortfall des Speisedoms durch die
innere Kesselspeisewasseraufbereitung,
-
Ersatz des Heißdampfreglers durch
einen Naßdampfregler (dadurch auch neuer Dampfsammelkasten),
-
Einbau des Mischvorwärmers neuerer
Bauart (die Baumuster hatten noch den plumpen Mischkasten wie
die Baureihen 83.10 und 99.23-24).
Die FVA hatte die beiden
Einheitslokomotiven 23 001 / 002 zu Vergleichszwecken erhalten und die 23 002
zur Gewinnung entsprechender Werte ebenfalls meßtechnisch untersucht.
Allerdings sind weder die 23 1001 noch die 23 1002 im Bereich
ihrer Höchstgeschwindigkeit von 110 km/h untersucht worden. Der Oberbau
vor allem und auch andere betriebliche Gründe ließen dies nicht zu. Der
Abschlußbericht der FVA schätzte die BR23.10 als außerordentlich
gelungene Konstruktion ein, was die Praxis auch in den folgenden Jahren
bewiesen hat. Bauartänderungen innerhalb der Serienlieferung hat es nicht
gegeben, wenn man vom Einsatz der Ölschmierpumpe Bauart Grützner
anstelle der Michalk-Schmierpumpe ab der 23 1064 absieht.
Die
Neubaulok entwickelte eine zwischen 45 und 60% höhere Zugkraft als die
preußische P8 und übertraf auch die Zughakenleistung der Einheitslok 23 002
noch um 13%. Der sehr verdampfungswillige Verbrennungskammerkessel
lieferte bei einer spezifischen Heizflächenbelastung von 70 kg/m2h 11,0 t
Dampf/Stunde und nahm auch eine Feuerführung weniger begabter Heizer
nicht übel. In den Jahren 1958 und 1959 lieferte LKM Babelsberg insgesamt
111 Lokomotiven (1958: 23 1003 bis 23 1053 mit den Fabriknummern 123003
bis 123053; 1959: 23 1054 bis 23 1113 mit den Fabriknummern 123054 bis
123113), so daß mit den beiden Baumustern, die der Serienausführung
angeglichen worden sind, 113 Lokomotiven der BR23.10 entstanden
waren.
Die
ersten Maschinen bekamen die Direktionen Greifswald und Schwerin; weitere
Lieferungen gingen an die Direktionen Cottbus und Halle. Anfangs sind die
Lokomotiven sehr häufig im Schnell- und Eilzugdienst, seltener im
Personenzugdienst eingesetzt worden. Die Leistungstafeln waren deshalb
nicht nur für P-, D- und E-Zugdienst, sondern sogar für den Expreßzugdienst
aufgestellt.
Im
hochwertigen Reisezugdienst konnte die 23.10 in der Ebene mit Höchstgeschwindigkeit
360 t befördern, im Personenzugdienst waren es 580 t mit 90 km/h.
Auf der Steigung 1:200 (5‰) wurden im
Personenzugdienst 435 t mit 70 km/h und im Schnellzugdienst 460 t mit der
gleichen Geschwindigkeit befördert.
Mit der
weiteren Auslieferung bekamen die Bw Berlin Ostbahnhof, Gera, Falkenberg,
Nossen u.a. die
Neubaulokomotiven zugewiesen. Die wirtschaftlicheren
Diesellokomotiven der BR V 100 (später 110, 112, 114, nach 1992 201, 202,
204) bewirkten ab 1975 / 76 die allmähliche Ausmusterung der
unterhaltungsseitig unproblematischen und nach knapp 20 Dienstjahren
keinesfalls aufgebrauchten Dampflokomotiven.
Die
letzten Leistungen im Dienstplan fuhr das Bw Nossen noch 1981 mit der 35 1113. (Ab
1970 war die BR23.10 zur BR35.10 umgezeichnet worden.) Danach kam - aus
Mangel an Dieseltreibstoff - zwischen 1983 und 1985 nochmals die schon im
Museum befindliche 35 1113-6 vor dem Eilzugpaar 944/ 947 freitags und
sonntags zwischen Riesa und Dessau zum Einsatz.
Lieferfirma:
VEB Lokomotivbau „Karl Marx“, Babelsberg – 113 Stück
Betriebsnummern:
23 1001 bis 23 1113
Einzelheiten
der Baulose
Quellen:
Dampflok-Report No 2 des Eisenbahn Journals,
Eisenbahn Journal 12/2001,
MIBA 12/ 2001
|