Quellen zu Kapitel 1 - zu Kapitel 2 - Inhaltsverzeichnis

Zur bildungstheoretischen Bedeutung
des Internet


"Ignorieren gilt nicht" oder :
Was hat das Internet mit Bildung zu tun?


"Die Zukunft des Netzes ist verbunden mit
der Zukunft von Gemeinschaft, Demokratie, Bildung, Wissenschaft und geistigem Leben" -
Howard Rheingold.


<

Aspekte und Motive der historischen Entwicklung des Bildungsbegriffes.

Der Begriff 'Bildung' war und ist neben dem Erziehungsbegriff einer der zentralen Grundbegriffe in der deutschen Pädagogik (der Begriff Bildung ist dabei ein spezifisch Deutscher, in anderen Sprachen existiert keine direkte Entsprechung) . Dennoch scheint gerade eine präzise Abgrenzung beider Begriffe gegeneinander oder auch nur eine genaue Definition des Bildungsbegriffes äußerst schwierig zu sein, zumal sich über die jahrhundertelange Entwicklungsgeschichte in beider Begriffe Bedeutungen relevante Überschneidungen fanden und finden, die sich nicht wegdefinieren lassen. Im folgenden sollen, ob des Fehlens einer präzisen Eingrenzung, die wichtigsten Motive, die in den Bildungsbegriff - zum Teil bis heute - hineinspielen, kurz skizziert werden. Selbstverständlich kann in einer Arbeit wie dieser kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben werden. Vielmehr geht es darum, Bedeutungsaspekte einzukreisen, zu skizzieren woher der Begriff kommt, und auch aufzuzeigen, in welche Richtung er sich entwickelte.

Bereits ehe der Bildungsbegriff eine pädagogische Bedeutung erhielt, durchlief er eine lange und wechselvolle Geschichte. Für die Konstitution des pädagogischen Bildungsbegriffes sind dabei wohl vor allem drei Bedeutungszusammenhänge des Begriffes relevant. Diese sind die theologisch bestimmte Mystik Meister Eckharts, die Naturmystik und Lebenslehre des Paracelsus und die Theologie Jakob Böhmes.

Meister Eckhart verwendet den Begriff Bildung in seiner Metaphysik und Theologie direkt aus der handwerks- und kunstbezogenen Bedeutung heraus, in der der Begriff im Sinne von Gestalt, aber auch Abbildung gebraucht wird. Er greift dabei auf die imago-dei-Lehre und auf platonisches, bzw. neuplatonisches Gedankengut zurück. Bei Meister Eckhart bedeutet Bildung "die Hinwendung der Seele zu ihrem Schöpfer und das Wiedereinbilden Gottes in sich selbst in der Rückwendung von dem Vielfältigen mit Hilfe der Seele"(Speck/Wehle, 1970, S.135) . Die Bildungslehre gehört damit in den Bereich der Theologie und Metaphysik. Dieses Verständnis von Bildung wirkt in der mystische Tradition bis ins achtzehnte Jahrhundert hinein nach und wird auch von Fichte wieder aufgegriffen.

Paracelsus' Naturphilosophie und Lebenslehre zeichnen Bildung als die Ausprägung innerer Anlagen, indem sie davon ausgeht, daß Gott in den Kräften der Natur wirkt, sich mit seinem Geist in die Schöpfung ein-gebildet hat, und damit auch in den Menschen. Dennoch ist Bildung bei Paracelsus nichts, was von selbst, quasi in organischem Wachstum, entsteht und gedeiht, sondern sie muß gepflegt und entwickelt werden, in einem Vorgang, der zwar noch auf Meister Eckharts theologische Fundierung bezug nimmt, schließlich aber von der Transzendenz befreit ist und zu einem Prozeß wird, in dem der Mensch danach strebt, durch die ihm von Gott gegebene Einbildungskraft "sich ein Bild von sich selbst zu machen und von seiner Bestimmung"(Schwenk Bd. I, 1989, 211) . Paracelsus' Begriff von Bildung war in seinen Auswirkungen auf nachfolgende Diskussionen des Begriffes noch einflußreicher als die des Meister Eckhart.

Die dritte vorpädagogische Sicht von Bildung läßt sich schließlich in Jakob Böhmes theosophischer Lehre erkennen: in ihr umfaßt Bildung ebenso das Einbilden und Sichbilden Gottes wie auch die an Widersprüchen wachsende und im Widersprüchlichen sich verfangende Gestaltwerdung des in der Schöpfung verankerten Menschen (Speck/ Wehle, 1970) . Böhme versucht, die bis dahin existierenden Bildungsauffassungen zu vereinigen und aus dieser Vereinigung der verschiedenen Sichten neue Elemente zu deuten: unter Rekurs auf augustinische Vorstellungen wird Bildung auch zu einer Frage des Willens. Bei Böhme wird auch zum ersten Mal der Sprache als wichtigen Faktor der Bildung Beachtung geschenkt. Sowohl die Frage des Willens als auch die Beachtung der Sprache werden später wieder aufgegriffen. Etwa Mitte des 18. Jahrhunderts wurde der Bildungsbegriff schließlich in die Fachsprache der Pädagogik integriert. Die Pädagogik der Aufklärung löst den Begriff Bildung aus dem metaphysischen, theologischen und mystischen Bedeutungszusammenhängen und stellt ihn ins Zentrum ihrer Überlegungen zu Erziehung und Unterricht. Daß diese Begriffsumdeutung sich gerade zu jener Zeit vollzog, war wohl vor allem auf die Emanzipation des dritten Standes zurückzuführen, insofern als Bildung sich durch die ihr immanente kritische Distanz des vernünftigen Menschen zur Theologie, Metaphysik, sowie gegen überkommene Herrschaftsverhältnisse, die das Menschsein einschränken, wendet. Der Bildungsbegriff der Aufklärung ist dabei weder mystisch noch organologisch, sondern "Zentralbegriff für planmäßiges und direktes Eingreifen des Erziehers auf ein festgelegtes Ziel hin" .(Speck/ Wehle, 1970)

"Bildung bezeichnet die Spannung zwischen dem natürlichen Ansatzpunkt der Erziehung, ihrem Endpunkt und den zu ergreifenden Maßnahmen in Hinblick auf individuelle Vollkommenheit und gesellschaftliche Brauchbarkeit."(Speck/Wehle 1970)

Es ging also bei Bildung im Sinne der Aufklärung darum, die Tugend des Menschen durch äußere Einwirkungen erzieherischer Art zu fördern, ihn zu kultivieren und zivilisieren. Sprache, Geschichtsmoment und Individualität blieben bei dieser Bildungsauffassung eher unberücksichtigt. Entscheidend für die Ausprägung des klassischen deutschen Bildungsbegriffes waren schließlich eben diese Auslassungen:
"...daß er sich zur Abwehr der in den politischen Erziehungsprogrammen der Aufklärungspädagogik in den Vordergrund rückenden Frage nach gesellschaftlicher <> des Menschen eignete, im Zusammenhang damit auch zur Abgrenzung gegenüber einem rationalistisch-technischen, auf die Subjekt-Objekt-Beziehung eingeschränkten <> Verständnisses von Erziehung."(schwenk, 1989)

Dieser Ansatz der klassischen deutschen Bildung vertrat das Ziel der menschlichen Gesellschaft und in diesem gleichermaßen politischen und utopischen Ansatz konzipierte sie das Bild vom freien Menschen. Um aber eine Verbesserung der Gesellschaft zu erreichen, muß Bildung in kritischer Distanz zur eigenen Zeit, und doch zugleich unter gleichzeitiger Bezugnahme auf sie, gesehen werden. So wird "das Nicht-Eingepaßtsein in die jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnisse ein konstitutives Element der Bildung."(Speck/ Wehle, 1970)

Mit Herder wird für den deutschen Humanismus Bildung zu einem Synonym für Selbstbildung. Wilhelm von Humboldt steckt, vor dem Hintergrund einer zunehmend pädagogischen Ausdeutung des Bildungsbegriffes, den Rahmen für einen Bildungsbegriff, der bis in die heutige Zeit hineinspielt. Für ihn kann eine Theorie der Menschenbildung nur auf philosophisch-empirischer Menschenkenntnis aufbauen. Dies gilt sowohl für die einzelnen Anwendungen einer solchen Theorie als auch für die Selbstbildung des Einzelnen. Dabei verknüpft sich die Theorie der Bildung mit der Anthropologie in untrennbarer Weise. Eine solche Bildungstheorie umfaßt dabei eine Prinzipienwissenschaft, die die Möglichkeit und Gültigkeit einer Theorie der Bildung sowie deren Grundsätze darlegt, des weiteren Theorien über die "wesentlichen Bereiche des menschlichen In-der-Welt-Seins im Hinblick auf ihre Bedeutung für Menschwerdung und Menschsein" und schließlich eine empirische Bestandsaufnahme derjenigen Daten und Fakten, "die für die Anleitungen zur Veränderung und Verbesserung des einzelnen unentbehrlich sind" .(Speck/Wehle, 1970)

Humboldt erkannte die grundlegende Rolle der Sprache als Vermittler zwischen Welt und Mensch. Sowohl für Humboldt als auch für Friedrich Schlegel lag das Ziel in der Bildung der Individualität, im Erlangen eines erfüllten Selbstverständnis, um schließlich in dem Ideal der Menschheit aufzugehen. Zwar fand bei beiden transzendental-philosophisches Gedankengut Raum, dennoch standen sie im Gegensatz zur allzu allgemeinen und unverbindlichen, und daher schließlich folgenlosen, herrschenden Transzendentalphilosophie.

In engem Zusammenhang mit Humboldt und Schlegel stehen Schillers Ideen zu einer ästhetischen Bildung als "Durchdringung des Sinnlichen durch das Geistige und des Geistigen durch das Sinnliche" in einer harmonischen Weise insofern beide Bereiche nicht danach trachten, den anderen Bereich zu verletzen oder zu beherrschen. Für Schiller ist ästhetische Bildung politischer Bildung immanent insofern als nur über die Kunst, über das Spiel mit der Schönheit, sich alle Kräfte des Menschen so bilden lassen, daß der Mensch zu sinnvollem politischen Handeln befähigt werden kann (wohl auch in Anlehnung an Kants 'Kritik der Urtheilskraft') . In ihrer Umsetzung jedoch schlug die ästhetische Erziehung in eine musisch-literarische Richtung um, die in ihrer Formalität weit entfernt von dem oben benannten Anspruch der Bildung des Menschen zum verantwortlich handelnden politischen Menschen war.

Mit Fichte wird Bildung schließlich zu einer Sache des gesamten Lebens im Wissen und Handeln, und weniger das beherrschen abrufbaren Wissens. Sie wird zu einem Prozeß, nicht länger nur ein Zustand. Mit ihren Ideen, die im Grunde genommen auch und vor allem sich mit der Spannung und Kluft zwischen Determiniertheit und Bestimmbarkeit, zwischen Ich und Nicht-Ich, und zwischen Gottesliebe und Begrenztheit auseinandersetzen, mündet Fichtes Erziehungslehre schließlich in eine Lebenslehre ein.

Mit Hegel gelangt das deutsche Bildungsdenken zu seinem vorläufigen Höhepunkt. Er greift dabei zwar zurück auf die Bildungsbegriffe vieler seiner Vorgänger, darunter die Meister Eckhardts, Jakob Böhmes, Oetingers und Schillers, Fichtes und Schellings, geht aber zugleich über diese höchst unterschiedlichen Positionen hinaus. Hegel nimmt den Bildungsbegriff aus dem anthropologischen Zusammenhang und verlegt ihn in die Geistphilosophie hinein. Die Grenzen der Pädagogik werden dabei zugunsten einer Einordnung des Bildungsbegriffes in eine Metaphysik überschritten.

Hegel sieht den Geist als Absolutes, an und für sich Seiendes. Bildung ist in diesem Zusammenhang nur Teil der gesamten dialektischen Bewegung des Geistes; ebenso ist individuelle Bildung letztendlich nur Moment der Selbstverwirklichung jenes absoluten Geist genannten Allgemeinen, innerhalb des dialektischen Prozesses. Sinn der individuellen Bildung ist daher die Preisgabe der Subjektivität zugunsten eines Aufgehens, eines Sich-Hineinbildens in den allgemeinen Geist, ein Prozeß, den Hegel als Arbeit der höheren Befreiung versteht. So erfährt Bildung als eine Selbstentäußerung des Einzelnen ihre Bestimmung letztendlich aus dem Spannungsverhältnis zwischen Individuum und allgemeinem Geist, und schließlich besteht sie auch in einem Hineinwachsen des Individuums in die Tradition, die Geschichtlichkeit(Speck/Wehle, 1970).

Mit Hegels Tod beginnt eine neue Phase im Bildungsdenken: man verabschiedet sich in der Pädagogik von der Metaphysik, es tritt eine Verwissenschaftlichung der Pädagogik im neuzeitlichen Sinn ein. Das 19. Jahrhundert konzentriert sich in der Beschäftigung mit dem Begriff der Bildung vor allem auf den Schulbereich. Bildung ist nun nicht länger primär Ansatz zur Veränderung und Verbesserung der Welt, sondern vorwiegend Ausdruck der Anpassung an die geltenden Verhältnisse. Dabei wird Bildung zu einem Standesetikett, reduziert auf das wirklichkeitsfremde Ansammeln von literarischem und Kunstwissen, das aus einer falsch verstandenen Auffassung des Begriffes von ästhetischer Bildung resultierte. Kunst als die Kräfte des Menschen harmonisierendes Medium war während der Zeit der Vermögenspsychologie noch fundamental für den Bildungsbegriff; mit dem Entstehen der Assoziationspsychologie wird die Bedeutung des vormals weiteren ästhetischen Bildungsbegriffes auf den Bereich des musischen, literarische, künstlerischen eingegrenzt und somit nunmehr zu einem kleinen Teilbereich dessen, was im 19. Jahrhundert als Bildung begriffen wird. Das Verständnis von Bildung, das sich in dieser Zeit etabliert, ist vor allem ideologisch begründet insofern, als das Bürgertum sich in einem Verneinen der Wirklichkeit in seinem bildungsaristokratischen Selbstverständnis an vergangene Ideale, illusionäre Leitbilder und Herrschaftsansprüche klammert:
"...Illusionen über Wirklichkeit, die nicht eine Welt schöngeistiger Kultur darstellt, sondern von der Industrie gekennzeichnet ist, ein massives Klasseninteresse, das seine Lebensform den anderen Ständen als Norm vorzustellen trachtet, beherrschen das bürgerliche Selbstverständnis, das sich in seiner Bestimmung der Bildung deutlich ausspricht."(Speck/ Wehle, 1970)

In der Pädagogik wird zu dieser Zeit der Bildungsbegriff mit Vorsicht gebraucht. Erst mit Nietzsche und Dilthey erhält der vom Bürgertum zur Worthülse reduzierte Begriff neuen Inhalt, der im Gegensatz zu dem der bürgerlichen "Bildungskamele" (ein von Nietzsche geprägter Begriff) steht. Eine wahre Bildung, dies macht Nietzsche deutlich, kann in der bürgerlichen Bildungsauffassung nicht gefunden werdenBei Nietzsche wird ästhetische Bildung erneut zentraler Aspekt einer Theorie der Bildung. In seinem Frühwerk verleiht er der Überzeugung Ausdruck, daß nur durch ästhetische Bildung der Mensch befähigt wird, die überlieferten Zwänge in seiner eigenen Individualität zu überwinden . Dilthey bettet den Bildungsbegriff in seine Lebensphilosophie ein. Bei ihm ist Bildung "die Wesensverwirklichung des Menschen in der Geschichte.[...] Bildung ist die subjektive Anverwandlung der geschichtlichen Welt in einem Akt produktiven Verstehens."

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erfährt der Bildungsbegriff in der Pädagogik neuen Auftrieb. Anknüpfend an die philosophischen Reflexionen zur Bildung, wie sie etwa von Nietzsche und Dilthey geleistet wurden, wird der Rahmen für eine neue Bildungstheorie gesteckt. Zunächst tritt das Bildungsdenken des Neuidealismus mit den Ideen F. Lienhards, E. Sprangers und des sogenannten dritten Humanismus in den Vordergrund.

Das Bürgertum wendet sich in seiner Suche nach Hilfe zur Lebensbewältigung der Klassik zu. Den Dritten Humanismus prägt vor allem das Unbehagen angesichts einer positivistisch und materialistisch eingefärbten klassischen Philologie. Daraus schließt man, daß die klassischen Studien neu belebt werden müssen, um in den ewig gültigen Modellen der griechischen für die Gegenwart neue wegweisende Richtungen zu erschließen. Dieser Dritte Humanismus entbehrt jedoch sowohl die philosophische als auch politische Dimension und kann sich dementsprechend nicht bewähren (Speck/ Wehle, 1970) .

Auch Spranger geht in seinem Bildungsdenken, das das deutsche Bildungsdenken vor den ersten Weltkrieg entscheidend prägt, von neuidealistischen Ideen aus. Sein Begriff von Bildung bezeichnet das Ziel der Verschmelzung der Gegensätze von Subjektivität und Objektivität in einer "höheren, ästhetisch-ethischen Einheit" . Während Kerschensteiner, in Abwendung von der Geistmetaphysik, Bildung vor allem als Bildung durch praktische Arbeit und Berufsbildung sieht, hebt Spranger den überlieferten Gegensatz von Berufs- und Allgemeinbildung auf, indem er die beiden als nicht unabhängig voneinander denkbar erkennt (Spranger, 1909, 492).

Nohl geht wie Spranger von geistesgeschichtlichen Voraussetzungen aus, bezieht seinen Bildungsbegriff jedoch vor allem aus dem Anspruch einer direkten Umsetzung von Diltheys lebensphilosophischem Ansatz. In seinem Bildungsdenken geht Nohl von der Sozialpädagogik aus, Ziel ist die Überwindung der in spätbürgerlich geprägter Zeit aufgekommenen Gegensätze zwischen Bildung und Wirklichkeit, Wissen und Leben. Bildung ist für Nohl die "[...] subjektive Seinsweise der Kultur, die innere Form und geistige Haltung der Seele, die alles, was von draußen an sie herankommt, mit eigenen Kräften zu einheitlichen Leben in sich aufzunehmen und jede Äußerung und Handlung aus diesem einheitlichen Leben zu gestalten vermag".

Auch Theodor Litt geht in seinen Vorstellungen von Bildung von Dilthey aus, es sind bei ihm verschiedene Phasen eines Bildungsdenken unterscheidbar. Während der zwanziger Jahre sind (neu)idealistische und kulturphilosophische Ansätze in seinen Ideen noch deutlich auszumachen. Später, vor allem nach 1945 ist der Einfluß von Hegels Ideen deutlicher.

Litt ersetzt den Harmoniebegriff durch den Begriff der Antinomie und kritisiert diejenigen, die die Einsicht scheuen, daß das Ziel der "zur Harmonie durchgedrungene Persönlichkeit" angesichts der Antinomien, in denen der Mensch lebt, letztlich nur Illusion und Objekt unerfüllbarer Sehnsucht sein kann. Der Mensch ist für Litt in Gegensätzen gefangen und durch sie bestimmt und definiert.

Für Litt steht nicht mehr die Entfaltung aus sich selbst heraus, sondern die Auseinandersetzung mit dem Anderen - mit dem 'dem Ich Fremden'(Litt, 1958, III). - im Zentrum von Bildung. Sich mit der Tradition kritisch auseinanderzusetzen, sich ihr zu stellen und zu ihr Stellung zu nehmen und sie schließlich sich anzueignen, ohne dabei in der Vergangenheit verhaftet zu bleiben, sondern in der Gegenwart lebend, sich auf sie beziehend sich in ihr zu bewähren, das konstituiert für Litt den Prozeß der Bildung. Ziel ist dabei eine Verfassung des Menschen, die, unter Neudeutung des Mensch-Welt-Verhältnisses den Menschen dazu befähigt, sich in ordnenden Bezug zur Welt zu setzen. Hintergrund solchen Denkens ist das anthropologische Interesse und die Einbeziehung von Alltag und Lebenswelt, etwa Sport, Arbeit, Politik etc. sowie die sich mehr und mehr durchsetzende Auffassung der Pädagogik auch als einer Erfahrungswissenschaft.

Gerade bei den neueren Autoren zeigt sich deutlich die Betonung der Wechselbeziehung des Individuums zu seiner Umwelt. Obgleich diese Motive bereits bei früheren Autoren auftauchen, scheint vor allem die Einbeziehung der Alltagswelt in die Überlegungen zu Bildung und die Auseinandersetzung des Einzelnen mit dem was ihn umgibt, das 'sich in bezug zur Welt setzen' ein wichtiger Ansatzpunkt zu sein, der für eine Bildungstheorie der Gegenwart relevant ist. So steht auch der außerpädagogische Raum im Blickfeld der Überlegungen zu einer Theorie der Bildung, die das Verhältnis des Menschen zur Welt zum zentralen Thema macht.


Bildung, ästhetische Bildung und die Rolle der Medien

Der Begriff Bildung läßt sich für die Gegenwart nicht auf eine einheitliche Definition eingrenzen: allzu viele verschiedene Deutungen, die für sich genommen oft diffus und unpräzise, manchmal sogar im Gebrauch hohl und verschleiernd sind, haben schließlich dazu geführt, daß einige Autoren, insbesondere der positivistischen, aber auch der existenzphilosophischen Richtung unter Kritik an der Ideologiebelastung, die dem Begriff anhafte, beziehungsweise mit der Begründung, die Idee eines organischen Entfaltungsvorganges sei nicht aufrechtzuerhalten und entspreche einer humanistisch-idealistischen Verklärung der Realität menschlichen Seins, bereits die weitere Verwendbarkeit des Begriffes in der Pädagogik bezweifeln.

Der Begriff der Bildung erscheint jedoch insofern unverzichtbar, als das miteinander und die Wechselbeziehung der Begriffe Bildung und Erziehung zueinander das Arbeitsfeld der Pädagogik überhaupt konstituieren, so daß der Bildungsbegriff ersetzt werden müßte und somit nichts gewonnen wäre . Um also mit dem Begriff Bildung in der Gegenwart, angesichts der nicht immer unberechtigten Kritik am Bildungsbegriff, überhaupt noch sinnvoll arbeiten zu können, bedarf es, angesichts der historisch gewachsenen Vieldeutigkeit des Begriffes, der Erklärung.

Erziehung bezieht sich, in diese gegenueberstellenden Wechselbeziehung der Begriffe Erziehung und Bildung so eher auf Gesinnung und Handeln, Bildung umschließt das Selbst- und Weltverständnis des Menschen. Während Erziehung eine intendierte Einwirkung von außen impliziert, kann das Innere des Menschen durch Bildung im Wechselspiel und in der Auseinandersetzung mit der Welt zur Entfaltung, zur Veräußerlichung kommen. Dieser Prozeß vollzieht sich jedoch nicht organisch, sondern ist ohne Erziehung undenkbar. Bildung ist dabei heute nicht mehr Selbstzweck, auch transzendetalphilosophische Aspekte sind in den Hintergrund getreten. Bildung kann ebenso nicht mehr das Privileg einer bestimmten Gesellschaftsschicht sein, erlangbar durch den Zugang zu den entsprechenden Institutionen 'höherer Bildung', sondern kann als kontinuierliches Sich-Entfalten des Individuums innerhalb einer gesellschaftlich geformten Umwelt und im Wechselspiel mit derselben aufgefaßt werden: durch Bildung gelangt der Mensch zu einem Verständnis seiner selbst und der Welt, die ihn umgibt, er setzt sich selbst in Bezug zur Welt und gelangt so zu einem Bewußtsein seiner eigenen Position innerhalb dieses Weltgefüges.

So werden die Aspekte, die eine Gesellschaft prägen, immer auch die Bildung der in dieser Gesellschaft lebenden Individuen nachhaltig beeinflussen: sie werden seine Identität mitformen, sie werden in seiner Entwicklung von Selbstwahrnehmung und Weltwahrnehmung eine prägende Rolle spielen, und somit auch an der Ausprägung der Identität des Einzelnen beteiligt sein. Für eine Gesellschaft wie die gegenwärtige deutsche sind diese Aspekte mannigfaltig; als Begriffe die in der bildungstheoretischen Diskussion der Gegenwart eine besonders große Rolle spielen, sind unter anderem Sprache, Arbeit, Schule, Sozialisation, Bildsamkeit, aber auch Probleme wie etwa die begrenzte Planbarkeit von Bildung und schließlich die Grenzen und Möglichkeiten die der Bildung zueigen sind, zu nennen.

Einen nicht übersehbaren und nicht zu vernachlässigenden Einfluß auf Gesellschaft üben die jeweils vorherrschenden Medien aus. Dies zeigt sich bereits deutlich bei der Entwicklung von der oralen hin zur schriftlich geprägten Gesellschaft, die ungeheure Veränderungen im sozialen Gefüge und in der Organisation von Gesellschaftlichen Strukturen erst ermöglcihte, und damit auch die Position des Menschen in der gesellschaft und das menschlihce Selbstverständnis von Grund auf erneuerte. Ähnliche Veränderungen gingen mit der Verbreitung des Fernsehens einher, und die prägende Kraft der Medien läßt sich bis hin zur momentan fortschreitenden Computerisierung der Gesellschaft verfolgen. Die Entwicklung neuer Medien hat immer auch einen tiefgreifenden Einfluß auf die Entwicklung der Gesellschaft gehabt; oft ermöglichten erst sie die Entstehung neuer Strukturen, die auch die Stellung und die Sicht des Individuums nachhaltig veränderten. Die veränderten Speichermöglichkeiten durch die Verbreitung der Schrift, ermöglichten zum Beispiel nicht nur komplexe Staatsstrukturen, sie teilte auch die Gesellschaft in diejenigen die des Lesens und Schreibens mächtig waren auf der einen und die Analphabeten auf der anderen Seite. Auch der Zugang des Einzelnen zu Information änderte sich radikal insofern, als es nun möglich wurde, sich Wissen anderer anzueignen, ohne persönlich, von Angesicht zu Angesicht (oral) mit dieser Person zu kommunizieren, sogar über den Tod des ursprünglichen Wissensträgers hinaus.

Da Bildung konkret in engstem Zusammenhang mit Kommunikation und Interaktion steht, werden auch die Codes, die in einer Gesellschaft dominieren, in die Bildung des Einzelnen mit einfließen, insofern, als ihre Strukturen immer auch bestimmte Denkweisen und Weltsichten in sich tragen, die nicht nur die Kommunikation, sondern auch die Kommunizierenden nachhaltig prägen. Das Verständnis von Welt, sowie das Selbstverständnis der einzelnen Menschen wird angesichts all diesen Veränderungen nicht dasselbe bleiben.

Was für die bahnbrechenden Veränderungen durch die Schrift galt, gilt ebenso für die heutigen Gesellschaften: die Medien, die in einer Gesellschaft wichtige Informationsträger sind, prägen sie, und sie prägen ebenso das Welt- und Selbstverständnis des Einzelnen in hohem Maße. Wir leben heute in einer Umwelt, die, vielleicht mehr denn je nicht allein sprachlich, sondern ebenso medial geprägt, durch Medien fixiert und fixierbar ist, und diese Prägung der Umwelt findet sich auch in dem wieder, was wir unter dem Begriff Bildung zusammenfassen. Um dies auch in der Bildungstheorie berücksichtigen zu können, ist es notwendig, die Strukturen der die Gesellschaft prägenden Medien zu betrachten, und zu verstehen, wie sie auf die Gesellschaft und das Individuum formend einwirken und wie sie Selbstsysteme, die Sicht des Selbst und der Welt beeinflussen.

Kommuniziert eine Gesellschaft in neuen Codes, so erfordert dies sowohl vom Einzelnen, als auch von den Disziplinen, die sich mit der Entwicklung des Einzelnen und der Gesellschaft befassen, die Bemühung, die Codes und das, was sie mit sich bringen, entschlüsseln zu lernen. Nur aus einem solchen Verstehen heraus kann überhaupt ersehen werden, auf welche Weise ein bestimmtes Medium die Bildung des einzelnen Menschen, seine Identität und seine Stellung im sozialen Gefüge beeinflussen, und nur auf dem Wissen um Art und Struktur dieser Einflüsse kann ein normativer Anspruch fußen, der in seiner Erfüllung die Menschen befähigt, sich in einer so geprägten Umwelt zurechtzufinden, sich in ihr behaupten und entfalten zu können. Schließlich wirkt die Fähigkeit des Einzelnen, sich in seiner Umwelt zurechtzufinden, auch auf die Gesellschaft zurück, ja die Gesellschaft hängt in ihrer Problemlösungskapazität letztlich von des Einzelnen Fähigkeit, Verantwortung zu übernehmen und von der Kompetenz ihrer Individuen, ab.

Bildung im Zusammenhang mit Medien kann in diesem Kontext immer auch als ästhetische Bildung verstanden werden. Der Begriff, abgeleitet vom griechischen aisthesis (Welsch, 1960) , soll hier in seinem weitesten Sinne als die Lehre von der Wahrnehmung, der Sinnlichkeit, der Rezeptivität stehen. Das Wort "ästhetisch" hat dabei mehrere Bedeutungsebenen: es bezeichnet zum einen die sinnliche Beziehung zu Gegenständen, also die Wahrnehmung derselben, zum anderen kann es die subjektive, gefühlsorientierte, sinnliche Beziehung zu sich selbst bezeichnen. Im wissenschaftlich-philosophischen Bedeutungsfeld ist Ästhetik die Philosophie der Kunst. Als ästhetisch bezeichnen wir "ein durch menschliche Intention hervorgebrachtes Kunstwerk" . Unter einen weiter gefaßten Ästhetikbegriff fällt Kunst im engeren Sinne ebenso, wie Design, Medien und die Gestaltung der Umwelt. In der heutigen Zeit besteht der größte Teil ästhetischer Beeinflussung von Menschen im außerpädagogischen Bereich, etwa durch Fernsehen, Werbung, Verkehr, Design etc.(Lehnerer, 1988. 42) . Wenn man dies aber erkennt, so können die Bemühungen und Überlegungen der Pädagogik kaum auf das enge, kunstpädagogische Feld beschränkt bleiben, sondern sollten sich auch, um den Realitäten gerecht zu werden, der alltäglichen Wahrnehmungen, die den Einzelnen in seiner Identität prägen und deren Rückwirkung auf das Selbst- und Weltverständnis des Individuums annehmen. Dem Begriff der ästhetischen Bildung ist dabei immer auch eine politische Komponente zu eigen, die es für den Pädagogen ebenfalls zu berücksichtigen gilt.

Eine Bildungstheorie, die den Begriff des Selbst- und Weltverständnis sowie den Komplex von Welt- und Selbstwahrnehmung in der Bildung des Menschen ernst nimmt und als zentral identifiziert, muß - gerade in Anerkennung der Rolle des Teils der Lebenswelt, der dem direkten pädagogischen Zugriff entzogen ist - sich mit den realen Gegebenheiten die das Individuum in einer Gesellschaft umgeben und formen, befassen. Zu diesen Gegebenheiten gehören auch die Medien als wichtige Mittel der Kommunikation und Information.

Um aber zu einer Bildungstheorie zu kommen, die an den realen Gegebenheiten einer Gesellschaft orientiert ist, beziehungsweise von diesen ausgeht, muß die Pädagogik auf dem Wege dorthin ihr Blickfeld auf andere wissenschaftliche Disziplinen erweitern, um sich Grundlagen zu schaffen. Es ist für die Pädagogik wenig hilfreich, ein Medium, das offensichtlich die zu betrachtende Gesellschaft prägt, oder auf dem Wege dorthin sich befindet, zu ignorieren oder zu verteufeln. Schlüsse, die in bester Absicht, doch aus Vorurteilen oder Unkenntnis heraus gezogen sind, werden den Realitäten nicht gerecht (wie der Umgang der eines Teils der Pädagogen mit dem Medium Fernsehen zeigt, deren Ansprüche so weit von der Lebens- und Erfahrungswelt der Kinder entfernt ist,daß diese kaum mehr erreicht werden) . Vielmehr gilt es, Entwicklungen und Ist-Zustände genau und kritisch zu betrachten und zu untersuchen, um dann zu Schlüssen für eine zeitgemäße Bildungstheorie kommen zu können. Nur wenn man ein Medium und seine Rolle in der Gesellschaft, sowie im alltäglichen Leben der Menschen, ernst nimmt, kann man es untersuchen und zu Ergebnissen kommen, die Grundlage für eine der Erfahrungswelt angemessene pädagogische Arbeit sein können. Aufgrund dieser Überlegungen werden in dieser Arbeit medienwissenschaftliche, 'cyberanthropologische', medien- und wahrnehmungstheoretische und -philosophische Überlegungen eine große Rolle spielen, denn nur auf der Basis dieser können sinnvolle pädagogische Überlegungen zu einem so umfassenden und grundlegenden Begriff wie Bildung überhaupt angestellt werden.

Ziel dieser Arbeit soll es sein, das 'neue' Medium Internet, das in den letzten Jahren auch in Deutschland einen ungeheuren Boom erfahren hat, unter dem Aspekt der Bildungstheorie zu betrachten, und sich abzeichnende Tendenzen die für eine Bildungstheorie in einer von diesem Medium geprägten Zeit relevant sind oder sein können, etwa im Bereich der Bildung von Identität, zu benennen. Im ersten Teil der Arbeit werden daher zunächst grundlegende, strukturelle Aspekte, auch im historischen Zusammenhang, betrachtet, denn nur, wenn die Strukturen eines Mediums verstanden werden, können auch Mechanismen und Einflüsse, die von diesem Medium ausgehen, verstanden und durchschaubar gemacht werden. In weiteren Kapiteln werde ich mich, unter Rückgriff auf die im ersten Teil gewonnenen Erkenntnisse, mit dem Themenkomplex der Identitätsbildung im Umgang mit der Computervernetzung durch das Internet befassen um zu eruieren, welchen Stellenwert das Internet in einem zeitgemässen Bildungsbegriff einnehmen kann.

Quellen zu Kapitel 1 - zu Kapitel 2 - Inhaltsverzeichnis


Copyright © 1997-222 I. Strübel. alle Rechte vorbehalten
<


This page hosted by Get your own Free Home Page