Mit Drum'n'Bass und Psychedelic zieht Grönemeyer die Uhr auf

Verheißungsvoller Tour-Auftakt in Schwerin
Schwerin. Unbedarft und in Kenntnis über den "Bochum"- und "Sprünge"-Grönemeyer hätte man meinen können, der nicht zu unterschätzende Mitleidsbonus habe einen Großteil der 8000 Fans in die seit Wochen ausverkaufte Schweriner Sport- und Kongreßhalle zum Auftaktkonzert der 99er "Bleibt alles anders"-Tour von Herbert Grönemeyer getrieben. Und sicher ist der innerhalb kurzer Zeit durch den Krebstod seines Bruders Wilhelm und seiner Frau Anna gebeutelte Sänger für die Medienwelt interessant wie lange nicht. Aber daß am Freitag abend niemand Tränen zu erwarten hatte, stellte Grönemeyer gleich zu Beginn seines Auftritts klar: "Meine Frau hat mir angesichts des Todes gesagt: Trauere, aber leide nicht. Ich will nicht leiden. Darum bin ich heute abend hier."

Kreativer Zenit

Was der Musiker dem Auditorium schließlich in den dann folgenden zwei Stunden bot, offenbarte, daß der ob seines Gesangsstils oft verhohnepipelte Sänger sich derzeit in seinem kreativen Zenit befindet. Nie präsentierte Herbert Grönemeyer eine solche musikalische Vielfalt, nie wußte er Kompositionen so intelligent zu entwickeln wie gegenwärtig. Funkige, ja fast jazzige Interpretationen bekannter Hits funktionierten ebenso wie psychedelisches Endsechziger-Zeug oder Drum'n'Bass-Sachen: Es blieb immer Grönemeyer. Ob "Alkohol", "Was soll das", "Ich dreh mich um dich", ob er sich durch "Die letzte Version" balladierte, durch den "Vollmond" hardrockte oder mit "Männer" einfach nur Erwartungshaltungen bediente - Grönemeyer hielt das überdurchschnittliche Niveau. Ergreifend sein "Schmetterlinge im Eis", das Lied für seine Frau: "Ich brauche dich zurück, um zu überleben." In der Halle herrschte eine fast bedrückende Stimmung, die schon beim nächsten kraftvolleren Song in unbändige Ausgelassenheit umschlug. Am Ende dann der Höhepunkt: "Bleibt alles anders" ist live unwiderstehlich. Das Stück dürfte zu den bedeutendsten Rocksongs gehören, die je in Deutschland den Weg auf einen Tonträger fanden.

Im direkten Vergleich zur zweiten Deutsch-Rock-Institution Marius Müller-Westernhagen kann resümiert werden: Wo der eine vom Bühnenrevoluzzer zum Snob mutierte, ist aus dem anderen, einst politisch korrekten Barden mit Hang zur Biederkeit ein facettenreicher Künstler geworden, der nicht nur mit der Zeit geht, sondern selbst die Uhr aufzieht.