Interview in der UZ vom 11. Dezember 1998

Wie sieht eigentlich ein Nazi aus?

Die "Unsere Zeit" (UZ) ist die Zeitung der "Deutschen Kommunistischen Partei" (DKP). Im Dezember 1998 veröffentlichte sie das untenstehende Interview.

UZ: Ihr bringt ja das Redskinhead Fanzine "Revolution Times" heraus. Stellt Euch doch mal vor: Beruf, Alter, Hobbys...

RT: Wir sind einige linke Skins, die aus verschiedenen Orten stammen. Größtenteils sind wir Mitte bis Ende 20, stecken noch in der Lehre, sind arbeitslos oder studieren. Einige von uns haben Familien mit Kindern, andere sind Junggesellen. Uns alle vereint, daß wir seit einigen Jahren in der Skinheadszene sind und uns als Antifaschisten bzw. als links verstehen. Die 13.Feuerbachthese, die da lautet "Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu verändern.", von Karl Marx z.B. ist meine Lebensmaxime ebenso wie Heraklits "Alles befindet sich im Fluß.". Hobbys sind Musik, Parties, meine Familie und Klassenkampf. Skinhead ist schließlich ein von vielen unterschätztes Stück Arbeiterkultur.

UZ: Wie hoch ist denn die Auflage und seit wann erscheint das "Revolution Times"? Worüber schreibt Ihr so?

RT: Das RT erscheint nun seit August 1995. Die 10.Ausgabe ist gerade in Vorbereitung. Die erste Ausgabe erschien noch in einer Auflage von 250 Stück, nun sind wir bereits bei etwas über 500 Exemplaren angelangt, die im Handverkauf, in Infoläden oder an Abonnenten verkauft werden. Wir schreiben über Szeneinternes, bringen Interviews mit Skinhead/Ska/Oi!/Punk-Bands, berichten über unsere Aktionen, über rechte Tendenzen in der Szene und den Widerstand dagegen, bringen internationale Berichte und zerbrechen uns auch schonmal unsere Köpfe zu Themen wie Antifaschismus, Arbeitslosigkeit, Klassengesellschaft und -justiz, Lohndumping, Reform und Revolution, Zukunft des Sozialismus, internationale Klassenkämpfe, etc. Revolution Times verbindet unserer Meinung nach gut Politik und Spaß. Und so muß es doch sein. Widerstand mit Phantasie, der auch noch Spaß macht. Redskinhead, das ist für uns politische und kulturelle Identität zugleich.

UZ: Gibt es viele Skinheads, die sich als antifaschistisch und/ oder sogar als sozialistisch/kommunistisch definieren? Und wie sieht es denn mit den Nazis in der Skinheadbewegung aus? Inwiefern beeinflussen sie die Skins?

RT: Wir haben Kontakt zu mehreren Hundert Skins, die sich nicht "nur" als antifaschistisch verstehen, sondern weitergehend auch als sozialistisch oder anarchistisch. Bei unserem diesjährigen Treffen am 1.Mai in Gießen waren z.B. rund 400 Skins, Punks und andere Antifaschisten bzw. Sozialisten. Nebenbei liefen noch in vielen Orten Aktionen zum 1.Mai, an denen sich viele von uns beteiligt haben. Die Nazis werden natürlich in den Medien hofiert und auch in den etablierten Parteien setzen sich immer mehr ehemals den Rechtsextremen vorbehaltene Positionen durch (siehe Asylrecht, starker Staat, Hetze gegen "Sozialschmarotzer", etc.) und das hat Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft und natürlich auch auf eine Jugendkultur wie uns Skinheads. Viele Nazis und rechte Kids ziehen sich an wie wir, weil die Medien ihnen zeigen, wie man als Nazi rumzulaufen hat und wie man ganz "hart" wirkt. Das Problem des Rassismus wird halt auf das einer Jugendkultur reduziert, so nach dem Motto, wenn es keine Skins gäbe, würde es auch keine Nazis geben.

UZ: Sind die Redskins eine neue Erfindung oder gibt es das schon länger? Wieso hört man sowenig über Redskins in den Medien?

RT: Karl Marx hat einmal gesagt "Die Gedanken der herrschenden Klasse sind in jeder Periode die herrschenden Gedanken." und da hatte er Recht. Die bürgerlichen Medien kommen ihrem groß verkündeten Auftrag zu informieren nicht nach und sind eher an Schlagzeilen interessiert. Und dadurch daß sie uns Informationen vorenthalten, bestimmen sie unser Bild der Welt und fördern so z.B. auch Vorurteile gegen Arbeitslose, Ausländer, Flüchtlinge, Homosexuelle, Linke, Skins, Sozialhilfeempfänger usw. Es wird ja auch verschwiegen, daß linke Parteien und ich rede hier nicht von sozialdemokratischen im Ausland teilweise gute Erfolge bei Wahlen haben. Für die Medien zählen halt Schlagzeilen und Sensationen, aber friedlich feiernde bzw. antirassistische Skins sind nicht gerade das, was die Medien interessiert. Linke Skins gibt es seit den ersten Tagen der Skins. Immer wieder gab und gibt es Berichte z.B. aus England über "Commie Skins" in der KP, in der Labour Party, in kleinen Trotzkistengruppen oder bei Gruppen wie Red Action und Anti-Fascist Action. Bewegungen wie "Skins against the nazis" und "Skins hate the NF" Ende der 70iger oder SHARP (SkinHeads Against Racial Prejudice - Skins gegen rassistische Vorurteile) Ende der 80iger zeugen von der antirassistischen Tradition ebenso wie antirassistische und sozialistische Bands wie Angelic Upstarts, Attila The Stockbroker, Red Alert, Red London oder The Redskins. Aber es ist wie bei der gesamten Linken und ihren Forderungen: sie werden totgeschwiegen, denn was nicht sein darf, kann auch nicht sein oder es werden Lügen über sie verbreitet.

UZ: Woran erkenne ich einen Naziskin und woran einen Redskin?

RT: Für den Außenstehenden mag das kompliziert erscheinen. Die meisten Boneheads laufen rum wie wir Skins, weil sie "hart" sein wollen. Also übertreiben sie oft und tragen 20-Loch-Stiefel, Spiegelglatzen und Oberlippenbärte, schwarz-weiß-rote oder "Ich bin stolz Deutscher zu sein!"-Aufnäher oder welche von Nazibands wie Freikorps oder Skrewdriver, während viele von uns eher etwas smarter daherkommen oder Antifa-Aufnäher oder welche von Ska oder Oi!/Punk-Bands tragen. Aber was ich viel wichtiger finde: Wie sieht eigentlich ein Nazi aus? Ist der Berliner Nazi-Rocker Arnulf Priem ein Antifaschist, weil er lange Haare hat? Bin ich ein Nazi, weil ich kurze Haare und Stiefel trage? Was macht politische Einstellung aus? Sind die 13 % Wähler, die in Sachsen-Anhalt DVU gewählt haben, alles Skinheads? Vorurteile machen blind, auch die Vorurteile so mancher von sich überzeugter "Antifaschisten"! Das Problem des Rassismus, das ein gesamtgesellschaftliches ist, wird auf das einer Jugendgruppe reduziert. Aber was ist mit Frey, Schönhuber oder Stoibers "durchrasster Gesellschaft"?

UZ: Seid Ihr Mitglied einer Partei oder engagiert Ihr Euch in irgendeiner Form politisch?

RT: Einige von uns sind in Antifagruppen oder der Roten Hilfe aktiv, andere in der PDS, in der AG Junge GenossInnen oder in den Gewerkschaften, wieder andere sind mit bei der DKP oder SDAJ dabei oder beschränken sich auf Arbeit innerhalb von RASH. Wir sind bei militanten Aktionen gegen Nazis ebenso dabei wie bei Demonstrationen gegen Rassismus, den Arbeitslosendemos, der Demonstration zu Ehren Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs alljährlich im Januar in Berlin. Jeder arbeitet auf seiner ganz persönlichen Ebene.

UZ: Ihr seid ja der deutsche Ableger von RASH (Red & Anarchist SkinHeads). Seit wann gibt es RASH in Deutschland und der Welt? Bringt Ihr irgendwelches Material heraus wie CDs, T-Shirts, Videos, etc. Und wenn ja, was gibt es bei Euch zu erwerben bzw. was muß der geneigte Leser für Strapazen in Kauf nehmen, um Euren Katalog zu erhalten?

RT: RASH gibt es in Deutschalnd seit 1995. Die Idee zu dieser Art der Vernetzung wurde erstmals 1992 in New York umgesetzt. Inzwischen gibt es in vielen Ländern Sektionen von RASH, so z.B. auch in Frankreich, Kanada, Kolumbien, Mexico, Spanien oder den USA. Bei uns könnt Ihr jede Menge Sachen bekommen. Gegen Rückporto (DM 1,10 in Briefmarken) kann man unsere Liste anfordern. Anzubieten haben wir neben Skinhead-relevanter Musik (Ska, Soul, Punk, Oi!) und Lektüre auch antifaschistische T-Shirts, Aufnäher, Aufkleber oder auch das "Kommunistische Manifest" oder proletarische Gedichte.

UZ: Was wollt Ihr dem geneigten UZ-Leser noch mitteilen?

RT: Wir halten es für wichtig in der Linken alte Grabenkämpfe ad acta zu legen und gemeinsam eine starke soziale Bewegung zu schmieden. Die Nazis haben nicht ohne Grund ihren Schwerpunkt auf die soziale Frage gelegt. Sie wollen dieses Thema für sich nutzen, weil viele Linke sich zurückgezogen haben und sich scheuen den Sozialismus und die sozialistische Revolution als das zu benennen, was sie sind: die einzige Alternative und der einzige Ausweg aus dem kapitalistischem Alltag und der kapitalistischen Misere. Die soziale Frage wird auch im 21. Jahrhundert noch die wichtigste Frage sein, die es zu lösen gilt. Und man sollte von Oberflächlichkeiten wegkommen. Überzeugung und Tat sind wichtiger als Aussehen. Bei Interesse bestellt unser Zine für DM 5,- bei Revolution Times, Postlagernd, 23501 Lübeck. Ansonsten: Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!

(aus UZ, 11. Dezember 1998)

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