Auschwitz als Alibi
Kritik des bürgerlichen Antifaschismus

**Antifa als Selbstschutz statt als Selbstzweck**

"Antifaschismus ist ein Abwehrkampf ohne politische Visionen. Er kann ein fehlendes Programm und nicht existente Vorstellungen für eine andere Gesellschaft nicht ersetzen."
Antifa Kalender für das Jahr 2001

Dass die Antifa und ein Grossteil der Linken früher oder später ein solches Desaster wie im Sommer 2000 erleben würde, war unserer Meinung nach schon lange absehbar. Seit dem Niedergang der staatskapitalistischen Staaten in Osteuropa hat die Linke nicht nur zahlenmässig, sondern auch inhaltlich erheblich abgespeckt. Der Zusammenbruch des Ostblocks und die falsche Bewertung des dortigen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems haben den Grossteil der Linken in eine Krise gebracht, die nicht hätte sein müssen, die aber aufgrund falscher Bewertung und Perspektive kommen musste. Viele Linke haben sich, wenn sie nicht gar ganz resigniert haben, in ruhige Nischen und in angestammtes Terrain (vor allem Antifa- und Anti-AKW-Bewegung) zurückgezogen. Seit Jahren befindet sich die Antifa und die Linke in der Defensive. Die Antifa reagiert grösstenteils nur noch auf die Aktivitäten der Nazis und lässt sich ihren politischen Terminkalender durch sie bestimmen und versäumt es - abgesehen von einigen Ausnahmen - eigene Akzente zu setzen und ihren Kampf gegen den Rassismus der Nazis und des Staates in einen politischen und sozialen Zusammenhang mit dem sie verursachenden kapitalistischen System zu bringen.

Der Antifaschismus, der sich noch in den 70ern am Rande der Linken (und dort in Person der VVN, der DKP, der Gewerkschaften und der Jusos) mit alten und neuen Nazis beschäftigte, nahm gerade nach 1989/90 einen immer grösser werdenden Stellenwert ein. Antifaschismus ist das z.Zt. einzig relevante Praxisfeld der radikalen Linken. Mit ihm wird die Perspektivlosigkeit einer Abwehr- und Ein-Punkt-Bewegung zur Perspektive und Kritiklosigkeit an den Herrschaftsverhältnissen zur Kritik erklärt.

Sicher ist das Problem der Nazis grösser geworden, aber im gleichen Zeitraum sind auch Probleme wie Arbeitslosigkeit, Korruption, Perspektivlosigkeit, prekäre Arbeitsverhältnisse, Sozialabbau oder die Gefahr des imperialistischen Krieges bzw. dieser selbst verstärkt auf die Tagesordnung getreten. Im Gegensatz zu heute war der Rechtsextremismus damals nicht Schwerpunkt der meisten Gruppen und ihrer politischen Identität. Noch in den 80ern verstanden sich Antifa-Gruppen als Teil einer grossen Bewegung (dies sieht sogar das AIB so). Zunehmend aber wurde der Rechtsextremismus der Schwerpunkt der politischen Arbeit vieler Gruppen und es bildeten sich mehr und mehr Antifa-Gruppen und -Zeitungen, die sich fast nur mit den Nazis und dem Staatsrassismus beschäftigten, so dass der Antifaschismus, der einst ein Teil der linken Bewegung war, zu ihrem bestimmenden Charakter wurde. Der Antifaschismus wurde von einer Art Selbstschutz zum Selbstzweck, einem Dreh- und Angelpunkt politischer Arbeit Linker (Diese Kritik haben wir bereits früher in einem Artikel im Revolution Times formuliert; siehe dazu den Artikel "Antifa-Arbeit und unsere Kritik an ihr" im Anhang.). Heute ist das Thema Antifa das einzige relevante Praxisfeld der (radikalen) Linken und diese Perspektivlosigkeit wird von ihr auch noch zur Perspektive erklärt, mit deren Hilfe revolutionäre Politik mehr Aufmerksamkeit erhalten sollte. Versäumt wurde über Jahre eine politische und soziale Alternative zum kapitalistischen Normalzustand aufzuzeigen bzw. zu entwickeln. Und so ist es dazu gekommen, dass diese Situation zum Hinnehmen des Bestehenden und zur Resignation führen, was eine inhaltliche Verbürgerlichung der Antifa-Bewegung zur Folge hat, was allenfalls durch militante Aktionsformen oder Verbalradikalismus á la AA/BO kaschiert, aber gerade durch die fehlende Kritik- und Alternativfähigkeit der letzten Wochen unter Beweis gestellt wurde.

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Der "Antifaschismus" für sich allein genommen ist der Verfechter des starken Staates: damals wie heute. Blosser "Antifaschismus", also Antifaschismus als Selbstzweck, bedeutet Kampf für den Status Quo ohne Nazis. Dies bedeutet also, dass der Kampf für den "demokratischen" Staat geführt wird und zwangsläufig bei der Stärkung des Staates enden wird (den einige Antifaschisten offen fordern, weil sie den Staat auf "ihrer" Seite wähnen).

Für uns ist der Antifaschismus Bestandteil des Antikapitalismus, nötige Selbstverteidigung, nötiger Selbstschutz und nicht Selbstzweck! Unserer Meinung nach kann der Kampf gegen den Faschismus nur erfolgreich sein, wenn er nicht lediglich in einer Anti-Haltung besteht, sondern klar eine eigene Alternative und Perspektive aufzeigt und die Menschen statt in den Kampf gegen das Symptom des Faschismus für ihre sozialen Interessen organisiert. Antifaschismus hat entweder Aussicht auf Erfolg, wenn er nicht Selbstzweck ist oder er schmeisst sich dem Staat und dem Establishment, welche das Problem immer aufs neue reproduzieren, an den Hals, um sich von einem vermeintlichen Sieg zum anderen zu schleppen, den er dem Kapitalismus durch Konzessionen (das kann die Teilnahme an breiten Bündnissen unter Verwässerung der politischen Positionen sein) und Kritiklosigkeit dem kapitalistischen Alltag gegenüber abgerungen hat. Was wir hier für den Antifaschismus ausführen, trifft im grossen und ganzen auch für andere Ein-Punkt-Bewegungen zu: Sie verfügen nicht wirklich über eine Perspektive.

Die Antifaschisten, welche sich als "revolutionär" bezeichnen, tun gut daran für Klarheit zu sorgen. Wie soll Antifaschismus "revolutionär" sein? Antifaschismus kann für sich allein nicht "revolutionär" oder systemverändernd sein, er kann höchstens Bestandteil einer revolutionären Bewegung oder eines revolutionären Konzeptes sein. Für sich allein genommen stellt er eine Ein-Punkt-Bewegung dar, die alleine über keinerlei gesellschaftliche Perspektive verfügt und diese auch nicht aufzeigen kann. Erst einige Linke haben diese (ihre eigene) objektive Perspektivlosigkeit zur Perspektive erklärt. Diese Perspektivlosigkeit wird deutlich in dem derzeitigen Dilemma und sie rückt für viele in den Hintergrund, solange rassistische Gewalt in den Medien auftaucht und die Gemüter erhitzt und somit vermeintlichen Raum für antifaschistische Aktivitäten jenseits der eigenen Klientel bietet.

Nur ein Antifaschismus, der als Bestandteil des Antikapitalismus und des revolutionären Sozialismus existiert, hat eine Perspektive den Faschismus zusammen mit seinen Ursachen und Nutzniessern zu überwinden. Das ist kein Dogma, sondern Realität. Alles andere führt mangels Alternativen zur Verteidigung des nichtrassistischen Status Quo.

Es ist sicherlich wichtig und richtig die Nazis zu bekämpfen. Wir nehmen den meisten Aktivisten ihr ehrliches Engagement ab. Aber wenn dieser Kampf Erfolg haben soll und Leute nicht nur für sinnlose Aktionen verheizt werden sollen, muss dieser Kampf eine Perspektive haben, die er durch immer neue Demonstrationen und Blockadeaktionen, d.h. durch die Reaktion und Konzentration auf die Nazi-Aktivitäten, nicht erlangen wird.

Wer die soziale Basis nicht thematisiert und dem nicht Abhilfe schaffen will, läuft Gefahr bloss den Status Quo zu verteidigen, einen "humanitären" Alltag im Kapitalismus zu fordern oder gar in nationalistische Gefilde zu geraten. Der "Antifaschismus" ist die Fortsetzung der "Sozialpartnerschaft" auf politischer Ebene. Hier sind es die gemeinsamen "Werte", die gemeinsame "demokratische Ordnung", dort ist es der "Betriebsfrieden", der "gemeinsame Betrieb". Aber wir wissen, dass wer den Faschismus beseitigen will, den Kampf gegen den Kapitalismus aufnehmen muss.

Den Einwurf einiger Antifas, dass es besser sei etwas gegen Nazis zu tun als gar nichts, finden wir falsch. Hier wird unsere Kritik falsch verstanden. Es geht nicht darum gar nichts zu machen, sondern es geht darum, was man unternimmt. Die Menschen für ihre sozialen Interessen zu mobilisieren, ist der beste Weg etwas gegen die Nazis zu tun, die zwar vom "Sozialabbau" reden, diesen aber lediglich als Folge der "Globalisierung" und "Flexibilisierung" und nicht als logische Folge des kapitalistischen Systems an sich sehen.

Die Nazis sind nur eines der Probleme, mit dem wir täglich konfrontiert sind: das bescheidene Leben im Kapitalismus ist voll von Fremdbestimmung, Ausbeutung, Unterdrückung und Repression. Auch der demokratische Kapitalismus bedeutet für uns Ausbeutung und Unterdrückung, nicht nur seine faschistische Variante. Aber wir sollten immer daran denken, dass, wenn die Politiker über die "faschistische Barbarei" reden, der Krieg gegen den Irak und Jugoslawien ebenfalls Akte der Barbarei waren, allerdings demokratisch legitimierte Barbarei.

Kontakt: revtimes@gmx.net


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