Archiv links- und rätekommunistischer Texte

Solidarity Group, As we see it

Wie wir es sehen

1. In der ganzen Welt hat die große Mehrheit des Volkes keine wie auch immer geartete Kontrolle über die Entscheidungen, die ihr Leben aufs tiefste und direkteste betreffen. Sie verkaufen ihre Arbeitskraft, während andere, die die Produktionsmittel besitzen oder kontrollieren, Reichtum anhäufen, die Gesetze machen und die ganze Staatsmaschinerie benutzen, um ihre privilegierte Stellung aufrechtzuerhalten und zu festigen.

2. Während des letzten Jahrhunderts hat sich der Lebensstandard der arbeitenden Massen verbessert. Aber weder dieser verbesserte Lebensstandard noch die Nationalisierung der Produktionsmittel noch die Machtübernahme durch Parteien, die für sich beanspruchen, die Arbeiterklasse zu vertreten, haben den Status des Arbeiters von Grund auf geändert oder haben dem Großteil der Menschheit mehr Freiheit außerhalb der Produktion gegeben. In Ost und West bleibt der Kapitalismus eine unmenschliche Gesellschaftsform, in der die große Mehrheit der Arbeiter getrieben und in Konsum und Freizeit manipuliert wird. Propaganda und Polizisten, Gefängnisse und Schulen, überkommene Werte und Moral dienen dazu, die Macht der Wenigen zu verstärken und die Vielen entweder zu überzeugen oder zu zwingen, ein brutales, entwürdigendes und irrationales System zu akzeptieren. Die "kommunistische" Welt ist nicht kommunistisch, die "freie" Welt ist nicht frei.

3. Die Gewerkschaften und die traditionellen Parteien der Linken begannen ihre Aktivitäten, um all dies zu ändern. Aber sie haben sich mit den vorhandenen Ausbeutungssystemen geeinigt. Tatsächlich sind sie jetzt notwendig, um der Ausbeutungsgesellschaft weiterhin reibungsloses Arbeiten zu garantieren. Die Gewerkschaften handeln als Vermittler auf dem Arbeitsmarkt. Die politischen Parteien benutzen die Kämpfe und die Hoffnungen der Arbeiterklasse für ihre eigenen Ziele. Die Verkommenheit der Organisationen der Arbeiterklasse, selbst ein Ergebnis der Niederlage der revolutionären Bewegung, war ein maßgeblicher Faktor bei der Herausbildung der Apathie der Arbeiterklasse, die ihrerseits den weiteren Abstieg der Parteien und Gewerkschaften hervorbrachte.

4. Die Gewerkschaften und politischen Parteien können nicht reformiert, nicht "erobert" oder Instrumente der Befreiung der Arbeiterklasse umgewandelt werden. Wir fordern jedoch nicht die Proklamation der Bildung neuer Gewerkschaften, die unter den heutigen Bedingungen ein ähnliches Schicksal wie die alten erleiden würden, noch rufen wir die Genossen auf, daß sie Gewerkschafts-Mitgliedsbücher zerreißen sollen. Unser Ziel ist einfach, daß die Arbeiterklasse selbst über die Ziele ihrer Kämpfe entscheiden sollte und daß die Kontrolle und Organisation dieser Kämpfe fest in ihren eigenen Händen bleiben sollte. Die Formen, die diese Eigenaktivität der Arbeiterklasse annehmen kann, wird von Land zu Land und von Industriezweig zu Industriezweig beträchtliche Unterschiede aufweisen, ihr Inhalt aber nicht.

5. Sozialismus ist nicht einfach gemeinsamer Besitz und Kontrolle der Produktions- und Distributionsmittel. Er bedeutet Gleichheit, wirkliche Freiheit, gegenseitige Anerkennung und eine radikale Veränderung in allen menschlichen Beziehungen. Er ist das "positive Selbstbewußtsein der Menschen". Er bedeutet für den Menschen das Verstehen und Begreifen seiner selbst und seiner Umwelt. Er bedeutet die Beherrschung der menschlichen Arbeit durch den Menschen. Er bedeutet, daß die Menschen ihre Arbeit und sozialen Einrichtungen, die sie zu schaffen für nötig halten mögen, beherrschen. Dies sind keine zweitrangigen Aspekte, die sich automatisch aus der Enteignung der alten Klasse ergeben werden. Sie sind im Gegenteil wesentlicher Teil des ganzen Prozesses der sozialen Veränderung, denn ohne sie wird keine echte soziale Veränderung stattgefunden haben.

6. Eine sozialistische Gesellschaft kann deshalb nur von unten aufgebaut sein. Entscheidungen, die die Produktion und Arbeit betreffen, werden von Arbeiterräten getroffen werden, die aus gewählten und jederzeit absetzbaren Delegierten bestehen. Entscheidungen auf anderen Gebieten werden auf der Basis der weitestmöglichen Diskussion und Beratung der ganzen Bevölkerung getroffen werden. Diese Demokratisierung der Gesellschaft bis zu ihren Wurzeln selbst ist es, was wir unter Arbeitermacht verstehen.

7. Sinnvolle Aktionen für Revolutionäre sind, welche auch immer das Selbstvertrauen, die Autonomie, die Initiative, die Teilnahme, die Solidarität, die egalitären Tendenzen und die Eigenaktivität der Massen verstärken und die auch immer deren Irreführung verhindern. Unnütze und schädliche Aktionen sind solche, die die Passivität der Massen vergrößern, ihre Apathie sowie ihren Zynismus, ihre Aufsplitterung durch Hierarchie, ihre Entfremdung, ihr Vertrauen darauf, daß andere für sie handeln und damit das Ausmaß dessen, wie sie durch andere manipuliert werden können - sogar durch die, die vorgeben, in ihrem Interesse zu handeln.

8. Keine herrschende Klasse hat jemals in der Geschichte auf ihre Macht ohne Kampf verzichtet, und unsere gegenwärtigen Machthaber sind da sicher keine Ausnahme. Die Macht wird ihnen nur genommen werden durch die bewußte und autonome Aktion der Mehrheit der Bevölkerung selbst. Der Aufbau des Sozialismus wird das Verständnis der Bevölkerung und ihre Teilnahme verlangen. Durch ihre rigide hierarchische Struktur, durch ihre Prinzipien und Aktivitäten entmutigen die sozialdemokratischen und bolschewistischen Organisationstypen diese Art des Verständnisses und verhindern diese Art der Teilnahme. Der Gedanke, daß der Sozialismus irgendwie durch eine Elitepartei erreicht werden kann (egal wie revolutionär), die für das "Wohl der Arbeiterklasse" handelt, ist absurd und reaktionär.

9. Wir akzeptieren nicht die Auffassung, daß die Arbeiterklasse aus sich heraus nur ein trade-unionistisches Bewußtsein erlangen kann. Wir glauben im Gegenteil, daß ihre Lebensbedingungen und Erfahrungen in der Produktion die Arbeiterklasse immer mehr dazu bringen, Prioritäten zu setzen und Wertungen vorzunehmen, sowie Organisationsformen zu finden, die die etablierte soziale Ordnung und Denkweise herausfordern. Diese sind implizit sozialistisch. Andererseits ist die Arbeiterklasse gespalten, ihrer Kommunikationsmittel beraubt und ihre Teile sind auf unterschiedlichen Wissens- und Bewußtseinsstufen. Die Aufgabe der revolutionären Organisation ist es, dazu beizutragen, dem Arbeiterbewußtsein einen klar sozialistischen Inhalt zu geben, den Arbeitern im Kampf praktische Hilfe zu geben und den Erfahrungsaustausch sowie die Verbindung verschiedener Regionen zu unterstützen.

10. Wir betrachten uns nicht wiederum als neue Führung, sondern einzig als ein Instrument für die Aktionen der Arbeiterklasse. Die Funktion von SOLIDARITY ist es, all denen zu helfen, die mit der gegenwärtigen autoritären Gesellschaftsstruktur sowohl in der Industrie als auch in anderen Gesellschaftsbereichen zusammenstoßen; unsere Funktion ist es, ihre Erfahrungen zu verallgemeinern, die Bedingungen und Uraschen der Konflikte einer totalen Kritik zu unterziehen und das revolutionäre Massenbewußtsein zu entwickeln, das notwendig ist, wenn die Gesellschaft vollständig verändert werden soll.

Übersetzung nach Schwarze Protokolle Nr. 6, Seite 29ff.

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