Der neue Lurchi:
Die große Umgestaltung
Im Jahr 2000 sah die Firma Salamander die Notwendigkeit, ihre Gallionsfigur Lurchi fit für das neue Jahrtausend zu machen. Alles sollte neu und ganz anders werden - einen "Relaunch" nennen das die Marketing-Experten. Ursprünglich schon für Mitte des Jahres geplant, schlug das neue Konzept dann erst Anfang September zu - das war das vorläufige Ende der seit 1937 herausgegebenen "grünen Hefte" mit Lurchis Abenteuern - und das Ende des Helden Lurchi, wie man ihn kannte.
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Lurchi-Seite
Der Neuanfang

Nicht zu Unrecht hatte man festgestellt, dass es Lurchis Gefährten an einem eigenen, unverwechselbaren Charakter mangelte: sie waren austauschbar. Fairerweise muss man aber auch sagen, dass es diesen Charakter früher durchaus gegeben hatte; in den knapp 30 Jahren nach dem Abschied von Zeichner und Texter Heinz Schubel hatte er sich jedoch abgeschliffen. Früher war Hopps der junge Lausbub gewesen, Piping der Bastler und Vaterfigur, Unkerich der Behäbige und Pedant, Mäusepiep der Pechvogel und Igelmann... naja, der Igel.

Jetzt sollte alles anders werden, und wurde es auch. Piping etwa, bis dahin ein eher greisenhafter Zwerg, wurde zu einem jungen Kobold umdefiniert und übernahm die Frechdachs-Rolle von Hopps. Zugleich wurde bestimmt, dass er nunmehr "nicht richtig sprechen kann", wie es im Konzept heißt. Unkerich wurde wegen der Mütze, die ihn einst als Büttel ausgezeichnet hatte, kurzerhand zu einem Kapitän gemacht, blieb sich aber charakterlich treu. Igelmann durfte die Rolle des genialen Tüftlers übernehmen, schlüpfte also in Pipings Schuhe. Wieder waren die sechs im Team eigentlich einer zuviel: Für Hopps gab es keine echte Rolle mehr, er verkörpert in der neuen Gestaltung nun einfach einen sportlich-lässigen Typ.

Lurchi wurde von der Renovierung nicht ganz so hart betroffen, aber statt tapferer Held musste er nun eine immer besonnene Leitfigur sein, ein wahres Monster an sozialer und emotionaler Intelligenz. Auch wurde sein über 60 Jahre alter Tirolerhut durch eine jugendliche Kluft ersetzt: kurze Hose und T-Shirt mit inversem Salamandermuster, also gelb mit schwarzen Flecken. Auch alle anderen Figuren wurden bekleidet, denn Nacktheit ist out: "Heute kann sich niemand mehr mit dem nackigen Lurchi mit Tirolerhut und Salamanderschuhen identifizieren", argumentierten die Umgestalter. Da irritierte es auch nicht, dass sich der halbnackte Donald Duck oder die ganz unbekleideten Pokemons weltweiten Erfolges erfreuen: Argumentieren ist zwecklos, Marketing ist Glaubenssache.

Das neue Erscheinungsbild entwarf Zeichner Dietwald Doblies zusammen mit einer Werbeagentur. "Es hieß, dass Kinder momentan sehr viel Wert auf Kleidung legen", erklärt Doblies die Anzieh-Orgie und verweist auf eine entsprechende Umfrage unter Kindern und Eltern. Außerdem sollen Lurchi und Freunde künftig weniger auf Reisen gehen, sondern sich mehr um aktuelle Themen wie das Sammeln von Ökomüll kümmern. So eine Phase, werden sich Lurchi-Sammler erinnern, gab es in den 80er Jahren schon einmal.

Pixi statt DIN A5


Auch das Erscheinungsbild der Lurchi-Hefte wurde vollständig umgekrempelt. Das charakteristische Grün des Umschlags verschwand, das neue Aussehen hat nichts mehr mit dem bisher bekannten zu tun. Lurchis Abenteuer bekamen nun das Format von "Pixi"-Büchern: 10 mal 10 Zentimeter! Das benutzte Papier war dabei vom besten, auch die aquarellierten Zeichnungen der Geschichten hatten durchaus ihren Reiz. Gelegentlich sind zwischen all der Modernität sogar noch Anspielungen auf Lurchis "altes" Leben zu finden, etwa in Form der Mühle, die einst Schauplatz eines Abenteuers war.

Die Geschichten waren nun in Prosa - keine Reime mehr und kein "Lange schallt's im Walde noch..." Dafür irritierte der Text der ersten Nummern durch einen ständigen Wechsel von normaler und halbfetter Schrift. Und die Pluspunkte, die man im zeichnerischen Teil finden kann, waren beim Inhalt leider kaum anzutreffen. Es handelte sich um etwas banale Stories mit geringem Spannungsgehalt, wie man sie in jedem Kindercomic findet: Eine Überraschungsparty zum Geburtstag; eine Schatzsuche; ein Schluckauf, der durch einen Schreck behoben wird... wie oft hat man das alles schon gelesen? Das Lurchi-Flair der früheren Hefte war nicht mehr zu spüren, es herrschte die Beliebigkeit. Und wenn der Titelheld in "Ein Geburtstag wie kein anderer" weinend nach Hause schleicht, weil er seine Freunde nicht findet, muss sich der langjährige Lurchi-Leser schon entsetzt an den Kopf fassen...

Gleich vier neue Geschichten kamen zu Lurchis Reinkarnation in die Läden. Sie trugen zunächst weder eine Nummer noch ein Erscheinungsdatum. Die Titel:

Lurchi und ein Geburtstag wie kein anderer
Lurchi auf Schatzsuche

Lurchi und das unaufhörliche Hicks
Lurchi und der Stern, der vom Himmel fiel

Carlsen macht Ärger

Im Herbst 2001 erschien dann Band 5
Die Wunschkugel, 2002 folgten Die Wetterwolke und Als der Regen kam. Ab der fünften Geschichte trugen die Minibücher nicht nur eine Nummer, auch sonst hatte sich das Erscheinungsbild gegenüber den ersten vier neuen Ausgaben verändert: Ab Band 5 waren die neuen Lurchi-Abenteuer nicht mehr quadratisch, das Format war nun 9 x 12 cm statt 10 x 10 cm. Grund ist, dass nicht nur der Name "Pixi-Bücher" vom Carlsen-Verlag geschützt ist, sondern auch das zugehörige Bilderbuchformat - das war der beauftragten Agentur entgangen. Carlsen beschwerte sich, man muste also eine andere Größe wählen. Nebenbei erhöhte sich dabei auch die Seitenzahl von 20 auf 24 und im Innenteil wird wieder eine besser lesbare Schrift verwendet, ohne Wechsel zwischen normal und halbfett.

Interessant ist noch, dass auf allen sieben neuen Ausgaben die Firma Salamander mit keinem Wort erwähnt wird. Das hat Methode und geht so weit, dass die Heftrückseite als Bezugsquelle für die Abenteuer nur neutral den "Schuhfachhandel" nennt.

"Mal sehen", sorgten sich im August 2000 die Stuttgarter Nachrichten, "was vom guten alten Lurchi noch übrigbleibt." Auch ältere Lurchi-Fans sahen die Veränderung mit Schrecken und warteten nun ab. Die Figur und die Serie haben schon manches überstanden - insbesondere viele Zeichner und Texter, mehr und weniger begabte. Da würde Lurchi wohl auch diese neue Phase überleben.
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Lurchi live

Ein neues Image muss auch beworben werden, das gilt bei Menschen wie bei Comicfiguren. Kräftig geworben wurde 2001 in Kinderzeitschriften wie "Bussi Bär", doch wollte man wohl noch andere Zielgruppen erreichen. So bevölkerte den ganzen Sommer über Lurchi mit seinen Kumpanen auch die Mattscheibe: Im "Fernsehgarten" des ZDF waren sie jeden Sonntag in Form lebensgroßer Puppen zu sehen. Eine besondere Funktion hatten sie dort nicht, vielmehr hüpften sie munter mit, wenn auf der Bühne getanzt wurde, durften mal einen Gewinner ziehen und winkten ansonsten aus dem Publikum.

Was sollte nun das ganze? Man darf es wohl unter "Product Placement" einordnen, einer milden und erlaubten Form der Schleichwerbung: Man platziert sein Produkt ganz nebenbei in irgendeiner unterhaltenden und sympathie-auslösenden Umgebung und hofft, dass etwas Glanz von der Haupt- auf die Nebensache abfällt. Bekanntes Beispiel ist, wenn James Bond werbewirksam in einem BMW-Sportwagen durch seinen Film fährt.

Nun lassen sich Sportwagen leichter spannend darstellen als Kinderschuhe, und ein James Bond in Lurchi-Sandalen sähe wohl auch nicht allzu attraktiv aus... also müssen die Symbolfiguren hier die Rolle des Produktes übernehmen, dürfen im TV ihre Bekanntheit im neuen Design steigern und sollen dadurch hoffentlich auch wieder auf den Schuhverkauf zurückwirken. Manch einer mochte das Ergebnis peinlich finden, aber vielleicht erfüllte es ja seinen Zweck.
Neue Hörspiele

Schon Anfang Oktober 2000 erschienen auch neue Lurchi-Hörspiele, die auf den veränderten Figuren beruhten und die Serie von sechs Kassetten aus den 90er Jahren (mit Titelbildern von Piiit Krisp) ablösten. Zeitgemäß gab es diese neuen Folgen nun nicht nur als Kassette, sondern auch auf CD.

Mit vier Titeln wurde die Serie gestartet:

1)
Lurchi und seine Freunde im Herbstwald
2)
Lurchi und seine Freunde bauen ein Haus
3)
Lurchi und seine Freunde und ihr neues Dorf
4)
Lurchi und seine Freunde entdecken die Musik

Etwa ein Jahr später folgten dann zum Weihnachtsgeschäft 2001:

5) Lurchi und seine Freunde im Zoo
6) Lurchi und seine Freunde auf dem Bauernhof
7) Lurchi und seine Freunde im Zirkus, Teil 1
8) Lurchi und seine Freunde im Zirkus, Teil 2

Im letzten Fall mutet die Aufteilung auf zwei Folgen etwas kurios an, da die Kassetten und CDs gleichzeitig mit 30 Minuten immer nur zur Hälfte gefüllt wurden...

Produziert wurden die Hörspiele von der Münchener SARI MUSIK, sie kosteten auf CD etwa DM 15,90, später entsprechend 7,95 Euro. Die Sprecher der Geschichten sind:

      Oliver Mink (Lurchi)
      Thorsten Schmidt (Hopps)
      Armand Presser (Igelmann)
      Robert Spitz (Piping)
      Harry Täschner (Unkerich)
      Claus Obalski (Mäusepiep)

Als Erzählerin wurde Katja Ebstein gewonnen, womit die CDs und Kassetten schon auf dem Cover werben. Außer der Geschichte enthalten sie noch das "Lurchi-Lied", alias "Ein Freund fürs Leben" - dieses Werk wird dargeboten von "Armin Schäffer und seinen Freunden". Es besingt Lurchi als jedermanns perfekten Freund, denn "er ist freundlich zu den Menschen".

Die Hörspiel-Geschichten waren inhaltlich unabhängig von den Lurchi-Pixis, gleichen ihnen aber insofern, dass auch hier auf eine im klassischen Sinne "spannende" Handlung zugunsten des pädagogischen Ansatzes - Kooperation und Teamleistung statt Heldentaten - verzichtet wurde. Für langjährige Fans muss das Ergebnis eher enttäuschen. Den langen Dialogen der sechs Figuren nach zu urteilen, wurden sie intellektuell dem Niveau ihrer Zielgruppe angenähert, wirken also weit weniger "erwachsen" als in den klassischen Heften. Die eher dünne Geschichte dient nebenbei als Vehikel für "lehrreiche" Erläuterungen und viele Freundschaftsapelle: Im Team haben sich alle lieb - und wenn mal nicht, bringt Lurchi das wieder in Ordnung. Seine Rolle besteht oft darin, mit ganz viel Sozialkompetenz und "Alles wird gut"-Stimme politisch-korrekte Tröstungen beisteuern - wobei er zuweilen wie ein Laienprediger klingt.
Es hat sich ausgequietscht.

Die Umgestaltung wirkte sich natürlich auf die ganze Marketing-Palette aus, nicht nur auf die Hörspiele. Ab Anfang 2001 wurden in immer mehr Salamandergeschäften erste Exemplare der neuen Figuren gesichtet, die im neuen Design die bisherigen Quietschfiguren ablösen sollten. Jetzt quietscht nichts mehr, denn die neuen Stücke sind aus Hartplastik. Über Monate hinweg wurden Lurchi-Sammler aber in den Läden vertröstet: Nur Muster waren an die Geschäfte ausgeliefert worden, die verkäuflichen Exemplare ließen auf sich warten. Erst im Herbst 2001 waren sie zu erwerben - und nun zeigten sich deutliche Unterschiede zwischen den Vorab-Exemplaren und der endgültiugen Serie. Natürlich bemühten sich daraufhin alle Lurchi-Sammler, der Musterexemplare habhaft zu werden...

Wenig später war dann auch die neugestaltete Lurchi-Biegefigur in den Läden, die den klassischen Biege-Lurchi nach über 40 Jahren ablöste, ebenso Stoffpuppen von Lurchi und Freunden. Näheres zu den alten und neuen Figurenserien steht im Kapitel
Figuren.
Zurück in die Zukunft

Die alten Lurchi-Fans trauerten noch, da kam - schneller, als von vielen gedacht - kam das neue Erscheinungsbild ins Wanken. Die siebte Lurchi-Geschichte im neuen Format markierte das Ende des Pixi-Experiments, und 2003 kam plötzlich wieder ein neues der "grünen Hefte" in die Salamanderläden: Es setzte als Ausgabe 8 die Numerierung der Pixis fort und trug den Titel "Durch die Anden". Innen waren aber Lurchi und Freunde in ihrer neuen Gestaltung aktiv, und die Geschichte musste ohne Verse auskommen. Dieses Heft wurde wohl nur kurz verteilt und ist, obwohl nicht alt, heute eher schwer zu beschaffen.

Der nächste Schritt war wieder einer in die Vergangenheit, nämlich zur alten Nummerierung: Mit "Der große Preis von San Reptilo" als Heft 130 knüpfte man ganz unschuldig dort an, wo die "alte" Serie drei Jahre zuvor geendet hatte. Ganz zurückgedreht war die Umgestaltung aber keineswegs, denn noch immer waren Lurchi und Freunde im neuen Design, die Geschichten in Prosa. Nur den "Salamander lebe hoch"-Vers am Ende leistete man sich wieder.

Mit der Nummer 131 "Lurchi und die falschen Weihnachtsmänner" schien der Fortschritt in die Vergangenheit weiterzugehen: Nun war die ganze Geschichte wieder gereimt, fast war man wieder auf dem Stand wie einige Jahre zuvor. Auch bei den Geschichten und Figuren machte sich das bemerkbar: Die Abenteuer sind wieder ähnlich angelegt wie in den früheren Heften, die Charaktere haben ihre extremsten Züge abgelegt - Piping etwa muss nicht mehr als Baby agieren und kann wieder normal sprechen. Die Geschichte dieses Heftes ist allerdings schamlos von einer Donald-Duck-Episode des Zeichners Carl Barks abgekupfert. Freundlicher könnte man auch von einer Hommage an den großen "Duck Man" sprechen.

Heft 132, und zu früh gefreut: "Lurchi jagt Dr. Go" kam wieder ohne Verse, ebenso die Folgenummer 133 "Das Phantom von Burg Rabenstein". Der mehrmalige Wechsel im Ansatz der Hefte war wohl durch die Ereignisse bedingt, die zu dieser Zeit die Firma Salamander selbst erschütterten: erst von EnBW (Energie Baden-Württemberg) übernommen, dann an die Garant-Gruppe verkauft, schließlich in die Insolvenz geraten. Mehrmals kamen so andere Köpfe in die Verantwortung und drehten das Ruder in die ihnen genehme Richtung - auch in Sachen Lurchi.

Das Ende?


Im Zuge der Salamander-Insolvenz wurde dann 2004 auch der große Lurchi-Ausverkauf ausgerufen. Erst waren die Hartplastikfiguren ausverkauft, dann der Stoff-Lurchi, schließlich wurden die verbleibenden Puppen und alle Hörspiele zum halben Preis abgegeben: Lager räumen, Geld beschaffen. Dieser Niedergang kam ausgerechnet zu der Zeit, als in den Filialen auch das 100jährige Salamander-Jubiläum ausgerufen wurde. Auch bei Lurchi musste dieser Anlass gefeiert werden: In die Gruselgeschichte von Heft 133 ist das Jubiläum mühsam hineinkonstruiert, indem dort "Professor Sancrispino, der Erfinder der Salamanderschuhe" entführt wird. Langjährige Lurchi-Leser wundern sich nicht nur über das mindestens 120jährige Alter dieses aus der Luft gegriffenen Erfinders (San Crispino bezeichnet eine Art von Schuhen, bei der Sohle und Oberschuh geklebt und zusätzlich vernäht werden), sondern auch über die Doppelung mit Heft 86: Dort wurde im Jahr 1985 schon einmal das 100jährige Salamander-Jubiläum gefeiert, wobei allerdings weit überzeugender Fiktion mit Realität verwoben war. Warum also wieder 100 Jahre, nicht 119? Erklärung: Damals ging es um die Gründung der Schuhwerkstätte durch Jakob Sigle 1885, diesmal geht es um die Eintragung des Warenzeichens Salamander 1904.

Wie es nach der Insolvenz mit der Firma Salamander und mit Lurchi weitergeht, ist derzeit ganz offen...
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