Die Lurchi-Hefte:

Vorkriegshefte 1 bis 5
Lurchis allererster Auftritt ist nicht genau zu datieren, doch fiel er sehr wahrscheinlich ins Jahr 1937. Das erste grüne Heft lag in den Salamanderläden aus: "Lurchis Abenteuer, das lustige Salamanderbuch" präsentierte auf 12 Seiten die ersten Abenteuer des Helden. Titel- und Rückseite waren in der alten Sütterlin-Schrift gehalten, im Innenteil war es die lateinische Schreibschrift, wie sie heute noch üblich ist. Der Vermerk "1. Teil" war auf dem Titel noch nicht zu finden - solange nur eine Ausgabe existierte und eine Fortsetzung fraglich war, konnte man auf diesen Zusatz ja auch verzichten.
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Doch die Erlebnisse des gutbeschuhten Salamanderjungen schlugen ein, wurden fortgesetzt - und eine bis heute rund 65jährige Erfolgsgeschichte nahm ihren Lauf.
Fünf Hefte in drei Jahren?

Die Fortsetzung erfolgte nicht eben mit Höchstgeschwindigkeit. Soweit man weiß, erstreckte sich die Herausgabe der Hefte 1 bis 5 über die Zeit von 1937 bis 1939. Bei Salamander gibt es dazu keine Unterlagen mehr, doch existiert ein Bild des damaligen Lurchi-Zeichners, in dem er das Kalenderblatt "1939" mit Anspielungen auf den Flugzeugbau in Heft 4 verbindet - demnach müsste diese Ausgabe um den Jahreswechsel 1938/39 herum entweder schon erschienen oder gerade in Arbeit gewesen sein.

Bemerkenswert ist, dass es für die kindliche Zielgruppe der Geschichten zu dieser Zeit noch gar keine Produkte gab: Kinderschuhe hatte Salamander damals noch nicht im Programm. Über Jahrzehnte hatte Salamander nur Schuhwerk für Erwachsene angeboten, 1932 begann man dann mit der Produktion von "Jünglings- und Backfischschuhen ab Größe 34" - für Jugendliche also, auch nicht eben die Zielgruppe märchenartiger Bildergeschichten. Die eigentlichen Lurchi-Leser sollten also nicht als Kunden in die Läden gelockt werden, vielmehr dienten die Hefte wohl dem Ruhigstellen des Nachwuchses, damit insbesondere die Mütter sich in Ruhe dem Schuhkauf widmen konnten. Das erklärt, warum man keine Eile mit den Fortsetzungen hatte: Die Leserschar sollte ja nicht zum möglichst häufigen Besuch in den Läden animiert werden. Im Gegenteil lieben Kinder in diesem Alter noch die exakte Wiederholung des schon Bekannten, widmeten sich also gerne auch der erneuten Lektüre schon vertrauter Geschichten.

Die Aufschriften auf der Heftrückseite verraten, wie sich die Situation allmählich änderte. "Auch für Kinder ab Größe 34" stand bis Heft 3 bei dem Salamander-Firmensymbol in gelb-schwarz zu lesen, ab Heft 4 war es einfach "Auch für Kinder" - womit aber nicht etwa alle Kinder gemeint waren, denn noch 1940 präzisiert ein Salamanderplakat "Jetzt Salamanderschuhe auch für Kinder vom 5. Lebensjahre an!". Ironie der Geschichte: Als man mit Produkten für die Hauptleserschaft der Lurchihefte begann, war die Serie - wohl kriegsbedingt - schon wieder eingestellt. Erst auf der Rückseite der Nachkriegshefte konnte Salamander später verkünden: "Auch für Kinder jeden Alters"

Auf die Titelseite verwendete man erstaunlich wenig Phantasie. Das Bild in der wolkenförmgen Umrahmung war immer identisch: ein dunkler, etwas düster dreinblickender, gestiefelter Lurchi mit seinem Hut in der Hand, mit keinerlei Hintergrund bis auf den angedeuteten Schatten seines Körpers. Im Nachhinein war das vielleicht kein so schlechtes Vorgehen, denn dieser eindringliche Titelheld musste sich den Lesern einprägen, nichts lenkte von ihm ab - er stand allein und selbstbewusst im Scheinwerferlicht.


Vorbilder


Die Lurchihefte waren damals keineswegs allein auf weiter Flur, im Gegenteil: Die 20er und 30er Jahre des 20. Jahrhunderts waren die große Zeit der kostenlos abgegebenen Werbezeitschriften. Ob Kaufhauskonzern, Waschmittel oder Margarine - wer etwas auf sich hielt, publizierte sein eigenes Blatt, um junge und alte Kunden an sich zu binden. Zu den großen Namen gehörten die "Rama-Post" und die "Blauband-Woche" (beide von Margarine-Herstellern), "Dideldum" (Kaufhäuser), "Kiebitz", "Schmetterling" oder "Papagei". Häufig wurden diese Hefte von zentralen Druckhäusern hergestellt und an verschiedenen Orten von ganz verschiedenen Häusern verteilt. Dafür war immer ein Feld freigehalten, in das der Name des einzelnen Hause individuell eingedruckt wurde: wie auf der Rückseite der Lurchi-Hefte.

Bildergeschichten waren - neben Erzählungen, Rätseln und ähnlichem - ein fester Bestandteil dieser Werbehefte. Auch gereimte Texte zu den Bildern gehörten zum Standardrepertoire. Die zahllosen Serien des Zeichners Emmerich Huber sind durch ihren Humor besonders im Gedächtnis geblieben, doch viele andere tummelten sich daneben, die heute vergessen sind.

Schuhhersteller gehörten nicht zu den großen "Verlegern" von Werbeheften, aber es gab auch das, schon vor Lurchi. Insbesondere ist hier die Firma Elefanten-Schuh (Kleve) zu nennen, die bereits 1933 mit ihrer monatlichen "Elefanten-Zeitung" begann und sie über lange Zeit fortsetzte. Hier war die Situation eine andere, denn Elefanten war von Anfang an auf Kinder als Kunden spezialisiert. Gegründet von Gustav Hoffmann 1908, leistete das Werk Pionierarbeit für Kinderschuhe, die tatsächlich am kindlichen Fuß orientiert waren - vorher hatte man einfach die für Erwachsene üblichen spitzen Schuhe verkleinert, was der Fußentwicklung der Kinder aber alles andere als zuträglich war. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts waren gar "zweibällige" Schuhe üblich, die ebenso rechts wie links getragen werden konnten, also gar nicht der Form des Fußes folgten..

Prägend in den Elefanten-Heften waren die Bildergeschichten und Titelbilder des bekannten Düsseldorfer Zeichners Rudi vom Endt, deren Helden natürlich Elefanten waren. Wechselnde, namenlose Elefanten in immer neuen heiteren Situationen und Erlebnissen, nie aber eine feststehende, benannte Figur, wie es Lurchi werden sollte - das ist ein wesentlicher Unterschied. Weitere Besonderheiten des Salamanderheftes waren die Konzentration nur auf eine einzige Bildergeschichte, weg vom üblichen Magazincharakter (die Elefanten-Zeitung etwa enthielt auch Textbeiträge, Rätsel und ähnliches) und der gewählte Zeichenstil. Gewöhnlich fand man damals karikierende Zeichnungen, wie sie auch in allen Witzblättern dieser Zeit waren - Lurchi aber näherte sich in den Zeichnungen klar dem Stil der klassischen Bilderbücher, weniger auf Humor abgestimmt als auf eine spannende und atmosphärisch dichte Erzählung.


Der Zeichner

Von wem die Zeichnungen der Vorkriegs-Lurchis stammen, ist nicht mit Sicherheit bekannt. Gerüchte, es habe sich um einen jüdischen Künstler gehandelt, dessen Namen man darum bewusst geheimhielt, sind nicht belegt. Ein anderes Gerücht will wissen, dass der Zeichner zum Kriegsdienst eingezogen wurde und die Serie daher nur bis zur Nummer 5 kam.

Andere Vermutungen stützen sich auf das letzte Bild des letzten Vorkriegsheftes: Am Ende der Geschichte um die "Wadschule" erkennt man auf einer der Schulbänke klein die Buchstaben "PI". Hat der Zeichner da seine Signatur hinterlassen - oder dachte er vielleicht nur, dass die Zahl Pi gut zu einer Schule passt? Es gab damals einen expressionistischen Maler namens Peter Jansen, der seine Werke manchmal mit einer Art "PI" signierte - und der in den 30er Jahren Berufsverbot durch die Nationalsozialisten hatte, also möglicherweise sein Auskommen in der Werbung suchen mochte. Doch weder der Stil der Vorkriegshefte noch das Aussehen der Signatur haben Ähnlichkeit mit dem, was von Jansen sonst bekannt ist.

Wahrscheinlicher ist die Version, dass ein österreichischer Zeichner namens Pinter die Hefte gestaltet haben soll und auch diese Signatur hinterließ.
Näheres über diesen Künstler ist aber zur Zeit noch nicht bekannt, obwohl schon mehrere österreichische oder ungarische Künstler mit Namen Pinter ausfindig gemacht wurden. Sie alle aber kommen für eine Arbeit in den 30er Jahren nicht in Frage - hier sind sie:
Ferenc Pinter, geboren 1931
Klaus Pinter, geboren 1940
Michael Pinter, geboren 1969


Übrigens wurden die beiden Buchstaben PI vom ersten Nachkriegszeichner der Hefte, der die Hefte 1 bis 5 in den 50er Jahren nachzeichnete, getreulich übernommen. War er vielleicht mit dem Vorkriegszeichner Pinter identisch?
Man weiß so wenig...
Der derzeit heißeste Tipp ist der österreichsich-ungarische Maler Laszlo Pinter, der schon in den 1920er Jahren in Süddeutschland tätig war, unter anderem in München. Weiteres über diesen Künstler ließ sich aber leider noch nicht in Erfahrung bringen, auch eine Bestätigung dieser Theorie steht also noch aus.
Ein weiterer Maler mit der Signatur "E. Pinter" ist ebenfalls noch im Rennen, doch war dieser wahrscheinlich eher um das Jahr 1900 aktiv. Leider ist der Name in Pinter in Ungarn - und dank der K.u.K. Monarchie auch in Österreich - alles andere als selten, so dass sich die Nachforschung schwierig gestaltet und Gerüchte schwer nachprüfbar sind.
Wenn man über Gerüchte spricht, muss man auch die ominöse zweite Vorkriegsauflage erwähnen. Gelegentlich findet man noch erwähnt, es habe in den 30er Jaren verschiedene Auflagen der ersten Hefte gegeben, die sich in der Aufschrift auf der Rückseite unterscheiden. Das ist aber höchstwahrscheinlich ein Irrtum, der sich auf das Aussehen der ersten Nachkriegshefte gründet: Heft 1 und 2 erschienen in ihrer ersten Auflage 1951 noch mit Sütterlin-Schrift, so dass sie leicht mit den Vorkriegsheften verwechselt werden. Lange Zeit glaubte man, dass alle Sütterlin-Hefte aus den 30er Jahren stammen, woraus man auf zwei verschiedene Vorkriegsauflagen der Nummern 1 und 2 schließen musste.


Lurchis lyrische Großväter

Auf den Gedanken, das Wappentier zu vermenschlichen und als Werbeträger einzusetzen, war man bei Salamander schon viel früher gekommen. Im Jahr 1909 erschien in verschiedenen großen Zeitschriften - so der stilbildenden Münchner "Jugend" oder der "Berliner Illustrierten" eine Reihe von Annoncen, in denen ein menschengroßer Feuersalamander die Anziehungskraft der Salamanderschuhe demonstrierte. Er war zwar mehr Neben- als Hauptfigur und trug die Schuhe auch nicht selbst - doch er trat schon gelegentlich mit Hut auf, und immer wurden die Zeichnungen von gereimten Texten begleitet.
Werbelyrik vor 100 Jahren:

"Bezwungen folgt er ihr auf Schritt und Tritt,

als zog ihn etwas seltsam Schönes mit.

Man ist, dacht sie, sogleich wie ein Magnet,

wenn man in Salamanderstiefeln geht.

- Einheitspreis M. 12,50"
Nicht immer mimte dieser Ur-Lurchi den feinen Galan, er trat auch als Student, Wanderer oder besonders gerne als Musiker auf - mit Harfe oder Gitarre. Denkt man an die vielen musikalischen Verkörperungen Lurchis ab den 50er Jahren, so muss die Liebe zur Musik der Figur wohl doch in die Wiege gelegt worden sein.
Nach dieser Reihe anthropomorpher Kriechtiere experimentierte die Schuhfirma in den Jahren bis 1914 wieder mit ganz anderen Umsetzungen ihres Wappentiers. Geradezu prophetisch wirkt aus heutiger Sicht eine Salamander-Anzeige vom Beginn der 30er Jahre, auf welcher der Feuersalamander auf den bittenden Blick eines kleinen Mädchens hin zum Leben erwacht und das - grün umrandete! - Firmensymbol verlässt... Das tat ja der Lurch bald wirklich, um ab 1937 wieder aufrecht zu gehen mit Hut und Stock, wie fast 30 Jahre zuvor- bis der Beginn des Zweiten Weltkriegs dem für mehr als ein Jahrzehnt ein Ende machte.
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