Jüdisches Museum Franken

    Exkursion des Fördervereins 2003
    zu Zeugnissen jüdischer Kultur in unserer Nachbarschaft



    Die vom Förderverein für seine Mitglieder im Jahr 2003 vorbereitete und organisierte Exkursion fand erfreulich regen Zuspruch. Der Tagesausflug führte zu hochinteressanten Zeugnissen jüdischer Kultur in unserer fränkischen Nachbarschaft: zum jüdischen Friedhof in Baiersdorf (Mfr.) und zur Synagoge nach Memmelsdorf (Ufr.).

    In PKW-Fahrgemeinschaften starteten die 27 Interessierten am Sonntag, den 2. November 2003, vom Jüdischen Museum zur ersten Station nach Baiersdorf. An der Gedenktafel für die zerstörte Synagoge erwartete uns Herr Horst Gemeinhardt – allen bekannt als höchst engagiertes und fachkundiges Vereinsmitglied, um uns über den mitten im Ort gelegenen jüdischen Friedhof zu führen.

    Auf dem jüdischen Friedhof in Baiersdorf findet man Grabsteine vermutlich schon aus dem Anfang des 15. Jahrhunderts, und 1937 hat mit Lena Schloss wohl die letzte Jüdin am „Guten Ort“ ihre Ruhe gefunden. Der Friedhof wirkt auf den Besucher wie eine Landschaft mit dicht stehenden Grabsteinen, kleinen Grabssteingruppen im freien Umfeld und vereinzelt stehenden großen Grabsteinen. Herr Gemeinhardt verstand es, immer wieder an eindrucksvollen Beispielen ganz unterschiedliche zeitgeschichtliche und kulturhistorische Aspekte zu zeigen: Namen wie Strauß, Lamm, Cohn, Merzbacher, Seligmann verweisen auf die Bedeutung jüdischer Familien im Fränkischen; besonders wichtig war Herrn Gemeinhardt die Erklärung der vielfältigen Symbole wie Kanne mit Schüssel für die Leviten, segnende Hände für die Nachkommen von Priestern, Stern, Blume, Schofar und Krone als Symbol für den „guten Namen“ des Verstorbenen.

    Die Inschriften aus den Jahrhunderten deuten auch auf den unterschiedlichen Grad der Assimilation: Früher ausschließlich hebräische Inschriften, im 18. und 19. Jahrhundert Grabinschriften je zur Hälfte deutsch und hebräisch, oder nur noch die hebräische Abkürzung für „hier ruht“. Während früher harte Steine verwendet wurden, deren Inschriften gut erhalten sind, verfallen die weicheren, meist größeren Steine zusehends. Ausdrücklich hingewiesen wurde noch auf den Grabstein von Jakob Herz, Mediziner, Universitätsprofessor und Ehrenbürger Erlangens, der 1871 verstarb – 70 Jahre später wurde der Ehrenbürger zum Nichtbürger; heute erinnert eine neue Gedenkplatte auf dem Erlanger Hugenottenplatz wieder an ihn.

    Trotz des kalten Novemberwetters fiel es der Gruppe schwer, den Friedhof zu verlassen, auf dem es so viel zu entdecken gibt. Die angenehme Mittagspause in Kaltenbrunn nahe Memmelsdorf bot dann Gelegenheit zum Gespräch über das Gesehene und zum Aufwärmen. Danach machte sich die PKW-Kolonne mit neuer Energie auf zum nächsten Exkursionsort.

    Memmelsdorf in Unterfranken bietet ein wunderbar anschauliches Beispiel für die große Bedeutung des Landjudentums gerade im Fränkischen. Eine Dorfchronik vermerkt die ersten jüdischen Bewohner in Memmelsdorf um 1648. Bis 1813 war die jüdische Gemeinde auf 240 Personen angewachsen, was der Hälfte der Einwohnerzahl entsprach. Gebäude aus dieser Blütezeit haben sich bis heute erhalten: die Synagoge, das alte und das neue Schulhaus, eine Mikwe, ein Friedhof und an vielen Wohnhäusern noch Spuren von Mesusot.

    An der Synagoge begrüßte uns Herr Hansfried Nickel, 1. Vorsitzender des „Träger- und Fördervereins Synagoge Memmelsdorf (Ufr.)“, der uns in einer spannenden Entdeckungsreise durch die Synagoge führte. Die spätbarocke Synagoge wurde 1728 erbaut und ist eine der ältesten noch gut erhaltenen Synagogen in Unterfranken. Sie ist ein dem Baustil der Zeit entsprechender Sandsteinquaderkomplex im quadratischen Grundriss (13 x 13 m). Die prächtige Ausstattung wurde im Novemberpogrom zerstört, aber viele Spuren sind erhalten. Herr Nickel ließ sie uns mit Hilfe eines Suchspiels entdecken und gab fachkundige Erläuterungen: z. B. der gut erhaltene Toraschrein, die alte Fassung des Segmentgiebels, die Gebotstafeln im Giebelfeld, die Krone als Symbol der Weisheit der Tora. Außen an der Synagoge sind völlig erhalten ein großer prachtvoller Chuppa-Stein (Hochzeitsstein) und die originalen Fenstergitter – eines mit einem Vogelfuß, dem Zeichen des Herrn von Greiffenclau, einem Schutzherrn der Juden.

    1987 wurden auf dem Dachboden der Synagoge – in einer so genannten Genisa - umfangreiche rituelle Schriften und Gegenstände gefunden; sie werden im jüdischen Dokumentationszentrum in Würzburg aufbereitet, und man erwartet neue Erkenntnisse über das religiöse und soziale Leben der Gemeinde.

    Herr Nickel berichtete über die Restaurierung der Synagoge und die geplante künftige Nutzung. Der Verein hat das Gebäude 1995 aus Privatbesitz erworben und konnte in einer fast unglaublichen organisatorischen und finanziellen Kraftanstrengung die „konservierende“ Restaurierung sowie die bauliche Ergänzung für künftige Nutzungen bis 2003 abschließen. Der Verein will die Synagoge als Begegnungs- und Bildungsstätte entwickeln; dabei soll besonderes Augenmerk auf die Arbeit mit Jugendlichen gerichtet werden, die die Synagoge als “Lernort“ entdecken und als „Denkraum“ nutzen können. Man kann diesem Projekt, Herrn Nickel und dem Verein, nur alle erdenkliche Unterstützung und nachhaltigen Erfolg wünschen für die Begegnung und Verständigung zwischen verschiedenen Kulturen.

    Mit Bewunderung für das Wirken engagierter Persönlichkeiten in Baiersdorf wie in Memmelsdorf und herzlichem Dank für zwei höchst eindrucksvolle Besichtigungen machten sich die Exkursionsteilnehmer auf die Rückfahrt nach Fürth.

    Übrigens: Wer einmal nach Memmelsdorf (Ufr.) fahren wollte, darf nicht bei Bamberg von der A73 nach dem angezeigten Memmelsdorf (Ofr.) abbiegen, sondern muss die B4 Richtung Coburg nehmen und in Kaltenbrunn abzweigen.

    Dr. Dieter Lölhöffel