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Bioethik der Verweigerung von Bluttransfusionen bei Zeugen Jehovas:
Teil 1. Sollten bei bioethischen Überlegungen die Ansichten von Kritikern
berücksichtigt werden? Osamu Muramoto
Kaiser Permanente, Portland, Oregon, USA
Journal of Medical Ethics -
August 1998 Volume 24 Number 4
Zusammenfassung
Die Verweigerung von Bluttransfusionen unter
Zeugen Jehovas (ZJ) wird in der medizinischen Gemeinschaft aufgrund der
zunehmenden Popularität "blutloser" Behandlungen in
jüngerer Zeit zunehmend unterstützt. Viele Ärzte,
insbesondere sogenannte "kooperierende"
Mediziner, bauen eine enge berufliche Beziehung zu dieser religiösen
Organisation auf. Andererseits ist nur wenig bekannt,
dass diese Blutdoktrin von reformwilligen gegenwärtigen und
ehemaligen Zeugen Jehovas, die aus Gewissensgründen von der Ansicht
der Organisation abweichen, heftig kritisiert wird. Ihre Argumente enthüllen
religiöse Praktiken, die im Widerspruch zu den sittlichen Maßstäben
vieler Ärzte stehen. Sie deuten auch darauf hin, dass ein gewisser
Prozentsatz "regulärer" oder orthodoxer ZJ eine unterschiedliche
Einstellung zur Blutdoktrin einnehmen. Der Autor
bespricht diese Gesichtspunkte und vertritt den Standpunkt, dass
die Blutdoktrin erhebliche ethische Mängel aufweist und
dass die medizinische Gemeinschaft ihre unterstützende Einstellung
nochmals überdenken sollte. Die übliche Annahme von
Ärzten, dass ZJ bei der Verweigerung von Blut autonom und einheitlich
entscheiden, wird ernsthaft in Frage gestellt. (Journal of Medical
Ethics 1998;24:223-230)
1. Einleitung
Dass Zeugen Jehovas (im folgenden ZJ genannt) medizinische
oder chirurgische Behandlungen, die eine Verwendung von
Blutprodukten einschließen, verweigern, ist in der medizinischen
Gemeinschaft Allgemeinwissen. Sie werden darin durch Ärzte
unterstützt, die die Herausforderung einer "blutlosen"
Behandlung 1 annehmen, wenigstens
im Falle von Erwachsenen. Zum Beispiel empfiehlt der Artikel
Verfahrensweisen bei der Übertragung roter Blutkörperchen
bei Operationen in der Zeitschrift The American
Journal of Surgery 2 als
Grundsatz Nr. 1, die Einschränkung anzuerkennen,
dass allogenes Blut nicht verwendet werden kann. Diese
Leitlinie empfiehlt die Einschaltung des örtlichen
Krankenhaus-Verbindungskomitees, das von der Kirchenorganisation
(Wachtturm Bibel- und Traktat-Gesellschaft, im folgenden WTG)
ernannt worden ist, um Hilfestellung bei der Entscheidungsfindung
zu leisten. Die überwiegende Anzahl der Artikel in der medizinischen Literatur
beschreibt die Verweigerungshaltung der ZJ gegenüber Blutprodukten
als entschieden, absolut und folgerichtig. Viele Gerichte trafen
Entscheidungen, dass der Weisung eines ZJ, kein Blut anzunehmen,
Folge zu leisten ist, selbst wenn es den Patienten sein Leben kosten mag.
Auf der anderen Seite berücksichtigen medizinische und
juristische Entscheidungen nur selten die Hintergründe, wie sich
die Blutdoktrin entwickelt hat oder wie sie in der Gemeinschaft der
ZJ durchgesetzt wird.
Bestimmte wenig bekannte Praktiken unter ZJ sind moralisch
bedenklich, und deswegen mag es erforderlich sein, dass die medizinische Gemeinschaft
ihre Unterstützung der Doktrin überdenken muss. Die Religion der ZJ
kam in letzter Zeit von Seiten kritischer Reformer und ehemaliger Mitglieder
unter starken Beschuss; unter den Kritikern befindet sich auch ein
ehemaliger leitender Mitarbeiter (ein Mitglied der leitenden Körperschaft),
der zwei Bücher verfasste, die sich mit Einzelheiten der Geschichte der WTG,
mit religiösen Praktiken und mit internen Konflikten beschäftigen
3,
4,
und die zum ersten Mal die geheime innere Arbeitsweise dieser
Religion enthüllte. Die Wirkung der Entscheidungen und Verfahrensweisen
auf die einfachen Mitglieder der Religion werden in den Schriften anderer
ehemaliger Mitglieder beschrieben
5,
6,
7.
Eine weitere wichtige Entwicklung kommt durch den einfacheren Zugang zum Internet
zustande, was gegenwärtigen und ehemaligen Mitgliedern ermöglichte,
ihre Meinung offen auszusprechen, ohne Repressalien befürchten zu müssen
8 9
10.
Jehovas Zeugen wird entschieden davon abgeraten, kontroverse
religiöse Themen mit Nichtmitgliedern zu diskutieren, insbesondere
nicht mit ehemaligen Mitgliedern, und sie können dafür ausgeschlossen
(exkommuniziert) werden. Im allgemeinen ist die medizinische Gemeinschaft
sich dieser Tatsachen nicht bewusst.
Folglich ergeben sich die folgenden ernsten Fragen: Sollten wir
Ärzte weiterhin in den Fällen den Wünschen der ZJ-Patienten
entsprechen, in denen ihre Bitte um eine blutfreie Behandlung sich
einzig und allein auf die offizielle Haltung der WTG stützt, während
sie die Argumente der Reformer und Dissidenten und die sich daraus
ergebenden ethischen Fragen außer acht lassen? Wie können wir es vermeiden,
unsere eigenen ethischen Grundsätze über Bord zu werfen, wenn wir
von unethischen Praktiken Kenntnis haben, die die eigenständige
Entscheidung des einzelnen ZJ in Frage stellen? Im Teil 1 möchte ich
die Ansichten der Dissidenten besprechen und die möglichen Auswirkungen
auf medizinisches Fachpersonal besprechen.
2. Geschichte und Lehrgebäude
Es würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, eine
detaillierte Darstellung der Geschichte und der Lehre der ZJ
vorzulegen. Eine exzellente Monographie ist
verfügbar
5.
Die Religion begann als kleine unscheinbare Gruppe in den 1870er
Jahren in Pennsylvania/ USA unter der Leitung von Charles Taze Russell. Er
borgte viele seiner Ideen von den Adventisten und anderen apokalyptischen
Sekten, die Spekulationen über das "Ende der Welt" in
biblischen Prophezeiungen anstellten. Im Jahre 1884 gründete Russell die WTG
als gesetzliche Körperschaft für die "Internationalen Bibelforscher",
die 1931 ihren Namen in "Zeugen Jehovas" umänderten.
Russell lehrte, dass Jesus im Jahr 1874 unsichtbar vom Himmel
zurückgekehrt war, um über die Erde zu regieren, indem er Gottes
Königreich aufrichtete, und dass im Jahr 1914 Jesus kommen würde, um
die Erde zu richten und die politischen, sozialen, ökonomischen und
religiösen Einrichtungen dieser Welt zu zerstören. Als im Jahre 1914
nichts Übernatürliches geschah und Russell 1916 enttäuscht starb, fiel
die Religion nahezu auseinander. Mit seinem Charisma formte
jedoch der zweite Präsident, Joseph Franklin Rutherford, die
Religion um, veränderte das Lehrgebäude viele Male, einschließlich
der Vorhersage von Harmagedon für 1918, 1920 und 1925, und
verschob die unsichtbare Rückkehr Jesu Christi von 1874 auf 1914.
Jehovas Zeugen betrachten sich als die einzig wahren Christen,
während alle anderen christlichen Konfessionen zur sogenannten
"abtrünnigen Christenheit" gehören.
Die Lehren, die für ein Verständnis des Gedankengutes
von ZJ und ihren Gehorsam gegenüber der Blutpolitik
entscheidend sind, können folgendermaßen zusammengefasst werden:
1) Harmagedon ist nahe, und durch Harmagedon wird die ganze
Menschheit außer treuen ZJ, die für immer auf der Erde leben werden,
zerstört; 2) Die leitende Körperschaft der WTG wird als
der "treue und verständige Sklave", auf den sich Jesus
in seiner Parabel in Matthäus 24:45 bezieht, angesehen. Sie ist als
Führung der ZJ direkt von Gott eingesetzt; 3) Die Bibel kann nicht ohne
Auslegung durch den "treuen und verständigen Sklaven"
verstanden werden; 4) ZJ, die die Leitung und die Organisation offen
kritisieren, werden als Abtrünnige angesehen, die Jesus und Gott
gegenüber illoyal sind. 5) Rettung ist davon abhängig, wie gut sich jemand
als loyaler ZJ verhält.
3. Kritik und Meinungsunterschiede
Vor kurzem geäußerte Kritik von Dissidenten und internen
Reformern enthüllt mehrere wichtige Praktiken von ZJ, die
eine kritische Rolle für die Frage spielen, ob wir unsere
moralische Unterstützung ihrer Blutpolitik überdenken sollten.
Hier möchte ich
vier Praktiken besprechen, die wiederholt kritisiert werden:
Einschüchterung und Bestrafung, um striktes, konformes
Befolgen der WTG-Politik zu erzwingen, eingeschränkte Rede-
Gedanken- und Entscheidungsfreiheit; Vertrauensbruch
durch interne Informanten; sowie Ungereimtheiten und
Widersprüche, die den einfachen ZJ vorenthalten werden. Dieses
Material gründet sich auf die eigenen Veröffentlichungen
der WTG und dem Zeugnis gegenwärtiger und ehemaliger ZJ.
Zwang zu Konformität
Zeugen Jehovas werden angewiesen, Freunde oder
Verwandte zu meiden, die die Organisation förmlich
verlassen haben oder die gezwungen werden zu gehen (durch
Gemeinschaftsentzug). Ehemalige ZJ, die eine andere
Meinung als ihre Führer äußern, erhalten das Etikett
"Abtrünnige" und werden genauso behandelt
wie diejenigen, die wegen sexueller Unmoral oder anderer
schwerwiegender Sünden exkommuniziert werden.
Die offizielle Zeitschrift der ZJ, der Wachtturm
schrieb über den Umgang mit
"Abtrünnigen" folgendes:
Ähnlich verhält es sich, wenn ein Elternteil oder
ein Sohn oder eine Tochter ausgeschlossen worden ist oder
die Gemeinschaft verlassen hat. Die verwandtschaftlichen
Bande bleiben bestehen. Heisst das aber, dass nach dem
Gemeinschaftsentzug dieses Angehörigen innerhalb der
Familie alles beim alten bleibt? Sicher nicht.
Ein Ausgeschlossener ist geistig von der Versammlung
abgeschnitten worden; die früheren geistigen Bande sind
völlig aufgelöst worden. Das trifft selbst auf seine
Angehörigen zu, auch auf die im engsten Familienkreis.
Sie haben - obschon sie die Familienbande anerkennen - keine
geistige Gemeinschaft mehr mit ihm.
11
Wahre Christen teilen Jehovas Empfindungen
gegenüber Abtrünnigen; sie möchten gar nicht wissen,
was für Vorstellungen diese vertreten. Im Gegenteil,
sie 'empfinden Ekel' gegenüber denjenigen, die sich zu Gottes
Feinden gemacht haben, aber sie überlassen es Jehova,
Rache zu üben. 12
Eingeschlossen in den sogenannten "Abtrünnigen"
ist eine beträchtliche Anzahl Abweichler aus Gewissensgründen
und diejenigen, die ohne zu bereuen Blutprodukte zugelassen
haben. ZJ werden eindringlich aufgefordert,
ihre persönlichen Bindungen an sie zu lockern, ein Verstoß
dagegen setzt sie selber einem Gemeinschaftsentzug aus.
Außenstehende mögen das Trauma, wie es ein Verlassen der
Organisation mit sich bringt, nicht nachvollziehen können,
aber für ZJ bedeutet es völlige Isolation von ihren Freunden und
Familienangehörigen, die in der Organisation verbleiben.
Sofern sie nicht bereuen und um Wiederaufnahme bitten,
gibt es für sie keine Hoffnung auf eine Auferstehung, und
ewige Vernichtung ist ihre einzige Zukunftsaussicht. Das
psychologische Trauma ist verheerend. Es gibt keinen ehrenhaften
Weg für ZJ, die Organisation zu verlassen.
Fehlende Rede- und Gedankenfreiheit
Ein sehr ernstes Problem ist, dass es eine
Redefreiheit, oder genauer, eine Gedanken- und
Entscheidungsfreiheit, für ZJ nicht gibt. Diese Freiheiten
spielen eine entscheidende Rolle, wenn es um die Selbstbestimmung in
medizinischen Angelegenheiten geht, sie werden aber in der
medizinischen Literatur selten erwähnt. Raymond Franz, ein
ehemaliges Mitglied der leitenden Körperschaft stellt fest:
'Durch WT-Indoktrination sehen Zeugen Jehovas
'unabhängiges Denken' als Sünde an, als ein Zeichen der
Illoyalität Gott und seinem ernannten "Kanal"
gegenüber. 13 Der
Wachturm warnt ZJ in scharfen Worten vor
"unabhängigem Denken":
Vermeide unabhängiges Denken. Satan zog schon
zu Beginn seiner Auflehnung Gottes Handlungsweise in Frage.
Er trat für unabhängiges Denken ein. 'Du kannst selbst entscheiden,
was gut und böse ist', sagte er zu Eva. 'Du musst nicht auf Gott hören.
Er sagt dir in Wirklichkeit gar nicht die Wahrheit' ... Wie macht sich
dieses unabhängige Denken bemerkbar? Im allgemeinen dadurch,
dass der Rat, den Gottes sichtbare Organisation gibt, in Frage
gestellt wird ... Doch gewisse Personen wollten es besser wissen.
Sie haben sich gegen diesen Rat aufgelehnt und das getan, was
in ihren Augen recht war. Was war die Folge? Viele von ihnen
haben sich in geschlechtliche Unsittlichkeit verstrickt und
haben in geistiger Hinsicht ernsten Schaden genommen.
14
Viele Abtrünnige appellieren an das Ego und behaupten, man
habe uns unserer Freiheiten beraubt, auch der Freiheit, die
Bibel selbst auszulegen ... Aber in Wirklichkeit zielen sie
darauf ab, andere zu beschmutzen, und sie haben nichts
anderes zu bieten als die Rückkehr zu den widerlichen
Lehren Gross-Babylons [Was alle andere Religionen bedeutet -
Anmerkung des Übersetzers] ... Diese glattzüngigen Schwätzer
haben vielleicht äußerlich, das heißt in physischer und
moralischer Hinsicht, ein reines Aussehen. Aber in geistiger
Hinsicht sind sie unrein, weil sie einer stolzen, unabhängigen
Denkweise verfallen sind.
15
Eine solche geladene Sprache entmutigt eine offene
Diskussion kritischer Themen, ja selbst das Nachdenken
darüber. In Verbindung mit dem drohenden Ausschluss -
der in Harmagedon Vernichtung und ewige Auslöschung
sowie den unmittelbaren Verlust der Familie und Freunde
bedeutet - zwingt sie ZJ wirkungsvoll, sich blind den
Ansichten der WTG unterzuordnen.
Furcht vor Vertrauensbruch
Zeugen Jehovas sehen sich Zwängen durch
Informanten in ihren eigenen Reihen ausgesetzt.
Man lehrt sie, ihre Mitbrüder den Versammlungsältesten
bei schweren Vergehen gegen die Regeln der Gesellschaft
zu melden. Der folgende Artikel aus dem Wachtturm
veranschaulicht ihre Haltung. Der Artikel mit dem Titel
"Eine Zeit zum Reden - Wann?" bespricht, ob
eine hypothetische Maria, die in einem Krankenhaus arbeitet,
verpflichtet ist, vertrauliche Patienteninformationen
über Mitglieder von ZJ den Versammlungsältesten zu melden:
MARIA arbeitet als medizinisch-technische
Assistentin in einem Krankenhaus. Sie ist verpflichtet,
was sie beruflich erfährt oder beobachtet, als Berufsgeheimnis
zu wahren. Auch muss sie dafür sorgen, dass schriftliche
Unterlagen und andere Informationen über Patienten
nicht an unbefugte Personen weitergegeben werden.
In dem Land, in dem sie wohnt, gibt es ein Gesetz, das die
Weitergabe von vertraulichen Informationen über Patienten regelt.
Eines Tages saß Maria in einer Zwickmühle. Als sie
Krankenberichte bearbeitete, stieß sie auf eine Information,
die besagte, dass eine Patientin, eine Mitchristin, eine
Abtreibung vornehmen ließ. Hatte sie die biblische
Verpflichtung, diese Information an die Ältesten ihrer
Versammlung weiterzugeben, obwohl sie dadurch in
die Gefahr geriet, ihre Stelle zu verlieren, gerichtlich
belangt zu werden oder ihrem Arbeitgeber rechtliche
Schwierigkeiten zu bereiten?.
16
Nach einer Betrachtung "biblischer Grundsätze",
die auf diese hypothetische Situation Anwendung finden,
fährt der Artikel damit fort, wie Maria reagierte:
Maria fürchtete erst ein bisschen die rechtlichen
Konsequenzen, doch dann kam sie zu der Überzeugung,
dass in diesem Fall die biblischen Grundsätze mehr
Gewicht hatten als die Forderung, die ärztlichen
Unterlagen vertraulich zu behandeln ... Nachdem Maria
alle ihr zur Verfügung stehenden Tatsachen erwogen hatte,
beschloss sie mit gutem Gewissen, dass das eine Zeit
zum "Reden" und nicht zum "Schweigen" sei.
Der Artikel argumentiert, dass es ... daher Fälle
[gibt], in denen ein Christ verpflichtet ist, die Ältesten von
einer Sache zu unterrichten, da das Gesetz Gottes
den Forderungen der "weltlichen Obrigkeiten"
übergeordnet ist. Der Artikel schließt folgendermaßen ab:
Manchmal wird ein treuer Diener Gottes aus
Überzeugung, gestützt auf seine Kenntnisse des Wortes
Gottes, die Schweigepflicht wegen der höherrangigen
Forderungen des göttlichen Gesetzes teilweise oder ganz
brechen.
Diese Lehre findet offensichtlich Anwendung auf ZJ, die
durch ihren Beruf Zugang zu vertraulichen Patienteninformationen
über Bluttransfusionen haben, die insgeheim Mitgliedern
von ZJ verabreicht worden sein mögen. Während der Artikel ein
hypothetisches Beispiel erwähnt, zeigt die folgende Fußnote,
dass ZJ den Rat im wirklichen Leben anwenden:
Maria ist eine erdachte Person. Sie ist in einer
Lage, in der sich schon etliche Christen befunden haben.
Wie sie das Problem angeht, ist ein Beispiel dafür, wie
einige Christen in einer solchen Lage biblische Grundsätze
angewandt haben
Dieser Artikel und andere Beweise deuten darauf hin,
dass ZJ aus Furcht vor einem Vertrauensbruch
durch interne Informanten einer Nötigung ausgesetzt
sind. Wo ZJ als medizinisches Personal eingesetzt
werden, können ZJ-Patienten nicht davon ausgehen, dass die
Schweigepflicht zwischen Arzt und Patienten gewahrt
bleibt, da in diesem Fall gemäß der Lehre der WTG "das Gesetz
Gottes" einschließt, dass der Zweck die Mittel heiligt.
4. Geschichte der Blutdoktrin
Ärzte wissen wenig über die Geschichte der Blutdoktrin
und ihrer Durchsetzung, was für die medizinische Ethik zu
Fragen Anlass gibt. Ich denke, dass der Mangel an diesem
Hintergrundwissen in der medizinischen Gemeinschaft zu ihrer
im allgemeinen unterstützenden Haltung beiträgt, auch wenn
viele Ärzte mit den Praktiken nicht einiggehen.
Sich verändernde Einstellungen zur Medizin
In der Geschichte der WTG gab es in medizinischen
Angelegenheiten eine ständige Veränderung ihrer Lehren.
Dies schließt eine Kampagne gegen Kochgeschirr aus Aluminium
sowie Angriffe auf die American Medical Association
und Ärzte ein, wie aus dem folgenden hervorgeht:
Wir tun gut daran, im Sinn zu behalten, dass es unter
den Medikamenten, Seren, Impfstoffen, chirurgischen Operationen
usw. des medizinischen Berufsstandes nichts von wirklichem
Wert gibt, außer gelegentlich eine Operation. Ihre sogenannte
'Wissenschaft' entspringt ägyptischer schwarzer Magie und
hat niemals ihren dämonischen Charakter verloren ... Wir
wären in einem traurigen Zustand, wollten wir das Wohl der
Menschheit in ihre Hände legen ....
17
Wenige erinnern sich, dass die WTG einstmals Impfungen
und Organtransplantationen mit scharfen Worten und
flammender Rhetorik verurteilte. Die Grundlage für ihr
Verbot waren die gleichen Bibelauslegungen, wie sie
auch beim gegenwärtigen Blutverbot angeführt werden.
Diese Praktiken waren gegen "Jehovas immerwährenden
Bund mit der Menschheit"(Genesis 9:4). Sie bezeichneten
Impfungen als ein "Verbrechen, ein Skandal und eine
Irreführung" und "die barbarischste Praxis"
18, und belegten Organverpflanzungen
mit einem Verbot, mit der Begründung, es wäre 'Kannibalismus'.
19 In aller Stille stießen sie
ihre Ansichten wieder um, als dies gängige medizinische
Methoden wurden. Die allermeisten ZJ nahmen diese
Abkehr hin, ohne zu hinterfragen, welche Tragödien
durch diese fehlgeleiteten Lehren verursacht worden waren.
Impfungen und Organtransplantationen, die einstmals genauso
heftig abgelehnt wurden, wie es heute bei Bluttransfusionen der Fall
ist, überlässt die WTG heute der "Gewissensentscheidung" des
einzelnen. Die meisten ZJ unterziehen sich diesen Behandlungsmethoden
routinemäßig, und heutige WTG-Publikationen heben
lobend den Nutzen von Impfungen 20
und erfolgreichen Herzverpflanzungen 21
hervor.
Während die meisten Menschen sich ständig verändernde
religiöse Lehren ablehnen, werden ZJ dazu angehalten, solche
Änderungen zu begrüßen, wobei sie sich auf Sprüche 4:18
stützen: Der Pfad der Gerechten ist wie das glänzende
Licht, das heller und heller wird, bis es voller Tag ist.
22 Sie werden gelehrt, dass
sich verändernde Lehren als "neues Licht" oder von
Gott erteiltes verbessertes Verständnis begrüßt werden sollten
und dass dies ein Beweis dafür sei ,dass sie sich auf dem
"Pfad der Gerechtigkeit" befinden.
Die biblische Grundlage der Blutdoktrin
Das Verbot von Bluttransfusionen wurde erstmals im
Wachtturm vom 1. Juli 1945 [engl. Ausgabe]
verbreitet. Es gibt bisher noch keine eindeutige
Erklärung, warum diese medizinische Behandlung plötzlich
verboten wurde, obwohl sie bereits seit dem ersten Weltkrieg angewandt
wurde. Ein Kulturanthropologe bot als Erklärungsmöglichkeit
an, dass die Lehre verbreitet wurde, um den inneren
Zusammenhalt der Sekte wiederherzustellen und zu
festigen.23 Die Doktrin
gründet sich auf drei Bibelstellen, die wir vom Standpunkt
sowohl der ZJ als auch der Dissidenten betrachten wollen.
Man beachte, um zur Schlussfolgerung zu kommen,
Buttransfusionen seien unbiblisch, muss die WTG Transfusionen
mit dem Essen von Blut gleichsetzen, da die Bibelschreiber noch
nichts von Transfusionen wussten.
Die erste Passage stammt aus Genesis 9:4, wo Gott
(Jehova) einen Bund mit Noah schließt: Nur Fleisch
mit seiner Seele - seinem Blut - sollt ihr nicht essen.
Die WTG sagt, dass das Verbot, Blut zu essen, Teil eines
"ewigwährenden Bundes mit der Menschheit"
darstellt. Dies steht jedoch im Widerspruch mit manchen
ihrer anderen Auslegungen. Die WTG verbietet keineswegs
Methoden der Geburtenkontrolle, was ein klarer Bruch des ersten
Teiles dieses Bundes ist: Seid fruchtbar und werdet viele,
und füllt die Erde (Genesis 9:1). Der Widerspruch
besteht darin, dass sie einem Teil des Bundes gehorchen, aber
den anderen ignorieren. Die Mehrheit christlicher
Bibelgelehrter glaubt, nebenbei erwähnt, dass der Bund mit Noah
für die Menschheit keine Verpflichtung mehr darstellte,
nachdem der Neue Bund durch Jesus Christus errichtet
worden war.
Die zweite Stelle stammt aus Levitikus 17:10-16, wo
Gott Moses ein Gesetz erteilte, das besagte: Keine
Seele von euch soll Blut essen, und kein ansässiger Fremdling,
der als Fremdling in eurer Mitte weilt, soll Blut essen.
(Levitikus 17:12). Das zeigt in der Tat, dass Gott den Juden
verboten hatte, Blut zu essen. Der Wachtturm lehrt jedoch,
dass Christen nicht unter dem Mosaischen Gesetz stehen, was
die Ernährungsvorschriften wie z. B. das Verbot, Schweine
oder Aale zu essen, einschließt. Widersprüche ergeben sich aus ihrer
Argumentation, dass nur e i n Gesetz verpflichtend wäre. Das
geht aus Levitikus 3:17 hervor: Es ist eine Satzung auf
unabsehbare Zeit für eure Generationen, an allen euren Wohnorten:
Ihr sollt überhaupt kein Fett noch irgendwelches Blut essen.
Das Gesetz verbietet hier das Essen von Fett und Blut im
gleichen Atemzug; und doch verbietet die WTG nur das Essen von
Blut und davon abgeleitet Bluttransfusionen.
Die dritte Stelle ist in Apostelgeschichte 15 zu finden, wo
Jakobus vorschlug, einen Brief an die Heidenchristen zu schreiben,
in dem er sie dazu anhielt, die jüdischen Bräuche folgendermaßen zu
befolgen:
Denn der heilige Geist und wir selbst haben es
für gut befunden, euch keine weitere Bürde aufzuerlegen als
folgende notwendigen Dinge: euch von Dingen zu enthalten,
die Götzen geopfert wurden, sowie von Blut und von
Erwürgtem und von Hurerei. Wenn ihr euch vor diesen Dingen
sorgfältig bewahrt, wird es euch gutgehen. Bleibt gesund!
(Apostelgeschichte 15:28,29)
Ein Problem mit der Anwendung dieses Verses auf
Bluttransfusionen ist der fehlende Nachweis, dass dieser Vers
als ein immerwährendes Gebot für alle Christen und im absoluten
Sinn gemeint war. Die meisten Gelehrten erklären Apostelgeschichte
15 folgendermaßen: das sogenannte Apostelkonzil wurde
wegen eines Disputes um die Frage abgehalten, ob die
Heidenchristen in Übereinstimmung mit dem Mosaischen Gesetz
beschnitten werden sollten. Das Konzil entschied, Christen stünden
nicht unter dem Mosaischen Gesetz, aber um ein friedliches
Miteinander zwischen Juden- und Heidenchristen aufrechtzuerhalten,
entschied sich das Apostelkonzil dafür, die Heidenchristen zu bitten,
den heikelsten jüdischen Traditionen zu folgen und das schloss
ein, das Essen von Blut zu meiden. Diese Interpretation wird durch
Paulus gestützt, der lehrte, dass das Essen von Nahrung, die
Götzen geopfert worden war, eine Sache des Gewissens sei, auch
wenn es in Apostelgeschichte 15 im gleichen Satz wie das Essen
von Blut erwähnt wird.(1 Korinther 8:4-8)
Ironischerweise verstand der Gründer der WTG, Charles Taze
Russel Apostelgeschichte 15 in Übereinstimmung mit vielen
Bibelgelehrten, und er betrachtete die Haltung, kein Blut zu essen,
als eine Grundlage für ein friedliches Miteinander
zwischen Juden und Heiden, und notwendig
für den Frieden der Kirche und nicht als ein ewiggültiges
Gesetz für alle Christen. 24
Würde Russels Interpretation von der WTG heute angenommen,
wäre das Blutverbot aus der Welt geschafft. Den meisten ZJ
ist das unbekannt.
Eine Bluttransfusion ist das Gleiche wie das
Essen von Blut
Die WTG argumentiert, da die Bibel das Essen von Blut verbietet,
sollten ZJ auf keinem Weg, einschließlich einer Bluttransfusion,
Blut in ihren Körper aufnehmen. Da diese Schlussfolgerung
in der Bibel so nicht zu finden ist, nehmen sie Zuflucht zu
einem Zirkelschluss, um medizinische Behandlungen mit
Blutprodukten mit dem Essen von Blut gleichzusetzen. Um dies
zu stützen, zitieren sie einen Anatomen des 17. Jahrhunderts,
Thomas Bertolin 25 und den
französischen Arzt Jean Baptiste Denys, 26
um aufzuzeigen, dass Bluttransfusionen
einer Aufnahme von Nahrung durch den Mund gleichkommt.
Die WTG "vergisst" zu erwähnen, dass die moderne Medizin
eine solche Vorstellung schon vor vielen Jahrzehnten verworfen
hat. Bluttransfusionen, wie sie gegenwärtig praktiziert werden,
ersetzen lediglich Funktionen, die durch Blutverluste verloren
gegangen sind, wie z. B. den Sauerstofftransport - ein Konzept,
das sich gänzlich von den Vorstellungen gewisser Ärzte des
siebzehnten Jahrhunderts unterscheidet.
Die WTG benutzt die folgende Analogie:
"Ein Krankenhauspatient mag durch den Mund,
durch die Nase oder durch die Venen ernährt werden. Wenn
Zuckerlösungen intravenös verabreicht werden, nennt man das
eine intravenöse Ernährung. Demnach erkennt die eigene
Terminologie der Medizin den Vorgang, Nahrung in das System
eines Menschen aufzunehmen, als Ernährung an. Somit ernährt
der Mitarbeiter, der die Transfusion anwendet, den Patienten durch
die Venen und der Patient, der sie empfängt, nimmt durch seine
Venen Nahrung zu sich. 27
Eine neuere Variante dieses Szenarios ist folgende:
Wenn ein Krankenhauspatient keine Nahrung
durch den Mund aufnehmen kann, wird er intravenös ernährt.
Würde nun jemand, der zwar kein Blut in den Mund nimmt,
sich aber eine Bluttransfusion geben lässt, wirklich dem
Gebot, 'sich von Blut zu enthalten', gehorchen? (Apg. 15:29).
Wie verhält es sich zum Beispiel mit jemandem, dem der Arzt
dringend geraten hat, sich des Alkohols zu enthalten? Würde
er den Rat befolgen, wenn er zwar aufhören würde, Alkohol zu
trinken, ihn sich aber statt dessen direkt in die Venen spritzen
würde? 28
Wie jeder Mediziner weiß, ist dies ein unangebrachtes
Argument. Oral aufgenommener Alkohol wird als solcher
absorbiert und zirkuliert als Alkohol im Blut, während
gegessenes Blut verdaut werden muss und nicht in den
Blutkreislauf eintritt. Blut, das in die Venen eingeleitet wird,
zirkuliert und funktioniert wie Blut und nicht wie ein
Nahrungsmittel. Dementsprechend ist eine Bluttransfusion eine
Art zellulärer Organtransplantation. Und wie vorhin erwähnt
sind Organtransplantationen jetzt erlaubt. Diese Ungereimtheiten
sind für Ärzte und andere rational denkende Menschen
offensichtlich, sie werden aber von ZJ wegen der strikten Politik,
sich vor kritischen Argumenten zu verschließen, nicht
wahrgenommen. Sie betrachten die unlogische Analogie der
WTG weiterhin als "die Wahrheit".
Willkürliche Regeln über verbotene
und erlaubte Blutbestandteile
Das anfängliche Verbot, Blut zu verwenden, bezog sich
auf Transfusionen von Vollblut, aber über die Jahre entwickelten
sich viele Regeln und Ausnahmen. Zum Beispiel veröffentlichte
die WTG einmal einen Artikel, in dem ZJ angewiesen wurden,
ihren Haustieren keine Bluttransfusionen zu geben und keinen
Dünger, der Blut enthält, zu verwenden. 29
Der medizinische Gebrauch von Blutegeln
war ebenfalls verboten 30.
Diese Praktiken wurden ebenfalls als "gegen
Gottes Wort" gerichtet bezeichnet.
In jüngerer Vergangenheit schuf die WTG, da bei medizinischen
Behandlungen hauptsächlich Blutbestandteile anstelle von
Vollblut verwendet werden, eine Liste verbotener und erlaubter
Bestandteile. Die unter ZJ und der medizinischen Gemeinschaft
bekannteste Veröffentlichung, die ihre Regeln in bezug auf Behandlungen
mit Blut abhandelt, erschien im Jahr 1981 in der Zeitschrift
The Journal of the American Medical Association.
31 Der Artikel fasst die grundsätzlichen
Richtlinien bei der Behandlung von ZJ mit Blutprodukten
zusammen. Er wurde von einem ZJ-Arzt, Dr. Lowell Dixon verfasst,
der der Leiter der medizinischen Abteilung im Wachtturm-Hauptquartier
in Brooklyn, New York gewesen war. Dieser präzise Artikel
vermittelte der medizinischen Gemeinschaft klar und verständlich
die Haltung der ZJ in bezug auf Behandlungen mit Blutprodukten.
Der Artikel wird seitdem in der medizinischen Literatur oftmals als
eine Richtlinie für die Behandlung von ZJ zitiert.
Die gegenwärtige Haltung der ZJ schließt eine bedingungslose
Verweigerung von Konzentraten aus roten Blutkörperchen,
weißen Blutkörperchen, Blutplättchen und Plasma ein. Sie
dürfen jedoch Albumin, Immunglobuline und Präparate für
Bluter annehmen. Diese Bestandteile werden als eine "Sache
des Gewissens" angesehen. Der vielleicht merkwürdigste und
widersprüchtlichste Aspekt der Verfahrensweise der ZJ ist, dass
sie alle einzelnen Bestandteile von Blutplasma annehmen
dürfen, nur alle zusammen dürfen nicht angewandt werden.
Darüber hinaus akzeptieren ZJ nicht einmal autologe
Transfusionen ihres eigenen, vorher gespendeten Blutes, obwohl
eine Blutrückgewinnung während der Operation akzeptiert
wird, zumindest solange der sich außerhalb des Körpers befindende
Blutkreislauf durch einen Schlauch aufrechterhalten bleibt.
Sie dürfen auch eine Behandlung mit der Herz-Lungen-Maschine
oder eine Hämodialyse durchführen lassen. Erst vor kurzem
wurde auch die induzierte Hämodilution erlaubt.
Die WTG hat keine biblische Erklärung anzubieten, wie
sie zwischen den verbotenen Behandlungsmethoden und den
Methoden, die einer "Gewissensentscheidung"
unterliegen, differenziert. Die Unterscheidung beruht allein auf
Entscheidungen, die willkürlich von der Leitenden Körperschaft
getroffen werden. Wenn eine neue Behandlung mit Blut oder
Blutprodukten verfügbar wird, trifft die Leitende Körperschaft
letztendlich die Entscheidung über ihre Zulässigkeit, bevor sie
angewendet werden darf. 32
33 Von Jehovas Zeugen
wird eine strikte Befolgung der so aufgestellten Regeln verlangt, unter
Hinweis darauf, dass es sich um biblisch gestützte
"Wahrheiten" handelt.
Die Leitende Körperschaft lehrt, dass es sich bei den
"verbotenen" Blutbestandteilen um die
Hauptbestandteile handelt, während es sich bei den annehmbaren um
"winzige" oder untergeordnete Anteile handelt,
wobei darauf hingewiesen wird, dass die untergeordneten Bestandteile
auf diejenigen beschränkt sind, die während einer Schwangerschaft
die Plazentaschranke überschreiten können und dass sie ZJ auf dieser
Grundlage mit gutem Gewissen annehmen dürfen.
34 Dies scheint vernünftig zu sein,
wäre da nicht die Tatsache, dass auch die meisten Hauptbestandteile
die Plazentaschranke überschreiten können.
35
Eine leichte Ironie besteht darin, dass sich die meisten ZJ nicht
bewusst sind, dass Albumin (einer der erlaubten Bestandteile)
einen Anteil von 2.2% am Volumen des Blutplasmas aufweist,
während weiße Blutkörperchen und Blutplättchen (verbotene
Bestandteile) nur 1% bzw. 0.17% darstellen. Patienten, die ZJ sind, und
ihre Ärzte müssen es irgendwie verarbeiten, dass gewisse "winzige"
Blutbestandteile erlaubt sein können, während die WTG gleichzeitig
hartnäckig lehrt, dass das Gebot, sich von Blut zu enthalten,
bedeutet, überhaupt kein Blut in unseren Körper aufzunehmen.
36 Die WTG bleibt auch die
Erklärung schuldig, warum es erlaubt ist, die großen Mengen Blut,
die zur Herstellung der "winzigen Anteile" notwendig
sind, die ZJ annehmen dürfen, zu spenden, zu lagern und zu verarbeiten.
Und doch lehren ZJ, dass Blut für keinerlei Zweck verwendet
werden darf und verbieten Blutspenden unter Androhung der
gleichen Bestrafung wie für Bluttransfusionen.
37
Übertriebene negative Kampagnen gegen
Bluttransfusionen
Viele Veröffentlichungen der WTG stellen die Gefahren
von Bluttransfusionen heraus und betonen die Vorteile
von Alternativen zu Bluttransfusionen. Ihre Zeitschriften
enthalten tragische Geschichten und negative Zitate
aus medizinischen Fachzeitschriften und der Presse über die
Gefahren von Blut. Man muss nicht besonders betonen, dass
Bluttransfusionen erhebliche Risiken in sich bergen und
Patienten darüber aufgeklärt werden sollten. Die WTG zeichnet
jedoch ein verzerrtes Bild, weil sie niemals auf die Vorteile
einer Behandlung mit Blutprodukten aufmerksam macht.
Genau wie bei der Kampagne gegen Organtransplantationen und
Impfungen benutzt sie Übertreibung und Gefühlsduselei, um
in den Köpfen der ZJ eine paranoide Angst vor Bluttransfusionen
zu erzeugen, während sie auf der anderen Seite keine objektive
Kosten-Nutzen-Analyse anstellt. Sie übergeht höhere Risiken
und erhöhte Kosten einiger alternativer Behandlungsmethoden und
erkennt auch nicht an, dass in einigen Situationen gar keine Alternative
vorhanden ist. Der folgende Absatz aus ihrer offiziellen Zeitschrift
veranschaulicht den Verfolgungswahn, den die Gesellschaft verbreitet,
durch den Bluttransfusionen zu einer "Inszenierung Satans"
werden.
Von allen Seiten wird der Glaube der Zeugen
Jehovas angegriffen - von der Geistlichkeit der Christenheit,
die die Königreichsbotschaft, die wir von Haus zu Haus
verbreiten, hasst, von Abtrünnigen, die mit der Geistlichkeit der
Christenheit zusammenarbeiten, von Medizinern, die uns
und unseren Kindern Bluttransfusionen aufzwingen wollen, ...
All das wird von Satan, dem Herrscher der Finsternis und
Unwissenheit, dem Feind genauer Erkenntnis, inszeniert."
38
Als ein Ergebnis dieser Verbalakrobatik werden viele
ZJ zu der Ansicht verleitet, dass eine Bluttransfusion so
gefährlich ist wie russisches Roulett.
39 Sie können nicht erkennen, dass
Blut nicht in dem Ausmaß angewandt werden würde,
wie es Ärzte, deren Hauptanliegen es ist, Leben zu
retten und Krankheiten zu heilen, heute verwenden, falls
Bluttransfusionen nicht ihre Wirksamkeit unter Beweis
gestellt hätten.
5. Diskussion
In diesem kritischen Überblick habe ich die Geschichte
und die religiösen Praktiken vorgestellt, die hinter der
Verweigerung von Blutprodukten durch ZJ steht. Der
größte Teil der Informationen wurde durch Reformer
und Dissidenten aufbereitet und kann in den eigenen
Veröffentlichungen der WTG nachgelesen werden, und
doch wird keiner dieser Punkte den "einfachen"
ZJ unvoreingenommen unterbreitet. Solche Standpunkte werden
als "abtrünnig" angesehen, und deswegen werden
Zeugen Jehovas davor gewarnt. Es gibt in der Gemeinde der
ZJ sowohl einen offenen als auch einen versteckten Zwang,
kritischen Informationen nicht nachzugehen und zu untersuchen.
Wie kann ein Arzt gegenüber seinen ZJ-Patienten
die obigen Gesichtspunkte berücksichtigen? Erstens kann
er oder sie in Betracht ziehen, dass Zwänge und Fehlinformationen
die Autonomie von ZJ-Patienten in Frage stellen. Wenn Patienten
wirklich eigenverantwortliche Entscheidungen treffen wollen,
müssen sie frei sein von ungebührlicher Einschüchterung durch eine
Organisation, sie dürfen keine Angst vor Repressalien haben und
Zugang zu genügend Informationen, einschließlich alternativer
Ansichten. Die Informationen, die hier vorgestellt werden,
legen nahe, dass die Annahme der meisten Ärzte, dass ZJ autonome
Entscheidungen treffen können, fundamental falsch ist.
Ärzte sollten auch ZJ-Patienten mehr als Individuen
ansehen und beachten, dass der Standpunkt individueller
ZJ-Patienten in weiterem Umfang variieren kann als bisher angenommen.
Die gegenwärtige Praxis der Einordnung von ZJ in eine
festgefügte Kategorie sollte überdacht werden, und der Möglichkeit
eines "unorthodoxen" Glaubens nachgegangen
werden.
Man mag einwenden, dass ZJ sich ihrer Religion aus eigenem
Entschluss angeschlossen haben und dass sie, wenn sie einmal
der Organisation angehören, aus freien Stücken und ungeachtet
von inneren Konflikten, die Regeln befolgen, die von ihren Führern
aufgestellt werden. Weiterhin mag man argumentieren, religiöse Freiheit
schließe die Freiheit ein, an irrationale Ideen zu glauben und sich
zwangausübenden Gruppen anzuschließen. Abweichlerischen
Ansichten Aufmerksamkeit zu schenken könnte als eine Einmischung
in die inneren Angelegenheiten der Religion betrachtet werden.
Das Wissen um die Möglichkeiten psychologischer
Manipulation, einschließlich Informationskontrolle und
Zwangausübung gewisser religiöser Gruppierungen, sollte dieses
Argument jedoch entkräften. Viele gegenwärtige und ehemalige ZJ
stimmen damit überein, dass die ZJ-Organisation viele der genannten
Elemente aufweist. Ich schlage vor, dass die Autonomie der
Mitglieder solcher Gruppen im Lichte ihrer unethischen Praktiken
geprüft werden sollte.
Einige mögen die Verlässlichkeit der Informationen aus den
Kreisen der Dissidenten und Reformern in Frage stellen,
besonders was das Internet als Informationsquelle angeht, dessen Ethik
sich noch auf einer sehr primitiven Stufe bewegt. Obwohl man Vorsicht
walten lassen muss, will man sich auf Informationen im Internet
verlassen, so meine ich doch, dass es ein beispielloses Forum
bietet, wo nicht nur Dissidenten, sondern auch ZJ selbst wegen
der Anonymität, die das Internet bietet, ohne Repressalien von
seiten der WTG befürchten zu müssen, ihre Bedenken
äußern können. Da es für ZJ im wesentlichen keinen anderen
Weg gibt, um öffentlich ihre Bedenken auszusprechen, sollten Bioethiker
in Erwägung ziehen, das Internet zu nutzen, um "inoffizielle"
aber wichtige Informationen in bezug auf die Patienten, die zu solchen
religiösen Gruppen gehören, zu erhalten.
Im Begleitpapier, Teil II 40 werde
ich, gestützt auf die hierin geäußerten Ansichten, eine
rationale Vorgehensweise bei ZJ-Patienten, die Blutprodukte
ablehnen, vorschlagen.
Erklärung
Die Ansichten und Meinungen, die hierin zum Ausdruck kommen,
sind persönlich und spiegeln nicht die offizielle Ansicht von Kaiser
Permanente and Pacific Permanente PC wieder.
Osamu Muramoto, MD, PhD, ist ein Mitglied der Ethikkommission
bei der Kaiser Permanente Northwest Division, und ein Neurologe
am Northwest Permanente PC, Portland, Oregon, USA. Korrespondenz
richten Sie bitte an seine Adresse unter: Kaiser East Interstate Medical
Office, 3414 N Kaiser Center Drive, Portland, Oregon 97227, USA.
e-mail:muramotosa@kpnw.org
Anmerkung des Herausgebers:
In der Oktoberausgabe dieser Zeitschrift wird eine Antwort auf
diesen Artikel, verfasst von David Malyon, Vorsitzender des
Krankenhaus-Verbindungskomitees, Luton, erscheinen.
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