20 Jahre danach gibt der Fall
Aldo Moro weiter Rätsel auf


Vor zwanzig Jahren, am 16. März 1978, wurde der italienische Politiker Aldo Moro von Linksterroristen entführt und nach 55 Tagen Gefangenschaft ermordet. Trotz mehrerer Prozesse ermittelt die Staatsanwaltschaft in dem mysteriösen Fall weiter.


ROM (SN, APA). Auf offener Straße wurde vor zwei Jahrzehnten einer der angesehensten Politiker Italiens, der damals 62jährige Parteichef der Christdemokraten und Ex-Regierungschef Aldo Moro, in Rom von einem Kommando der linksterroristischen "Roten Brigaden" entführt. Man brachte Moro in eine von der Terrorgruppe angemietete römische Wohnung. 55 Tage später wurde der Politiker brutal umgebracht. Derzeit läuft die sechste Untersuchung, die die Staatsanwaltschaft in diesem mysteriösen Mordfall eingeleitet hat. Es geht dabei vor allem um die Hintergründe der Gefangenschaft Moros.

Im Zusammenhang mit der Bluttat fanden vier Prozesse statt, bei denen rund 20 Terroristen lebenslange Haftstrafen erhielten. Der letzte Prozeß in dieser Serie endete erst im Juli 1996. Mittlerweile ist jedoch der Mörder des Politikers, der 49jährige Mario Moretti, im offenen Strafvollzug, wie auch die übrigen Mitglieder des Kommandos. Moretti hatte erst im Oktober 1993 gestanden, die tödlichen Kugeln auf Moro abgefeuert zu haben. Er war 16 Jahre in Haft. Doch um die Terroristen geht es mittlerweile nicht mehr. Die Staatsanwaltschaft überprüft derzeit, ob auch die Geheimdienste die Finger mit im Spiel hatten. Vor einigen Monaten hatten nämlich sechs Parlamentarier der oppositionellen Mitte-Rechts-Allianz bekanntgegeben, daß das Gebäude, in dem Moro gefangengehalten wurde, einer Gesellschaft gehörte, die eigentlich unter der Kontrolle des zivilen Geheimdienstes SISDE stand. Nie bestätigt wurden Informationen, die "Roten Brigaden" seien von der Mafia infiltriert worden oder hätten von Geheimdiensten Angebote zur Zusammenarbeit erhalten. Weitere Spekulationen ranken sich um die Frage, warum die damalige Regierung unter dem Christdemokraten Giulio Andreotti Verhandlungen mit den Terroristen kategorisch abgelehnt hatte, obwohl Moro dringend darum bat. Andreotti soll während der Entführung Moros die Vernichtung eines Anti-Terrorplans angeordnet haben, dem zufolge in Italien Sondereinheiten zur Bekämpfung des Linksterrorismus aufgebaut werden sollten. Ein Richter hatte Hinweise auf den Plan jüngst in einem Geheimarchiv entdeckt.

Andreotti muß sich derzeit vor Gericht nicht nur wegen Zusammenarbeit mit der Mafia verantworten, sondern auch, weil er die Ermordung eines Journalisten in Auftrag gegeben haben soll. Der Journalist war offenbar deshalb gefährlich, weil er Dokumente über Moros Tod veröffentlichen wollte. Im Mittelpunkt der Nachforschungen stehen von Moro während seiner Gefangenheit angefertigte Notizen, in denen er über seine Erfahrungen nachdenkt und abrechnet - vor allem mit Andreotti.