Städtetour bei über 30 Grad nach Baden-Baden

Mir wird ganz anders, als ich die Wetteraussichten für die nächsten Tage höre: Hitzewelle über Deutschland, über 30 Grad. Und da will ich als Aimée nach Freiburg und Baden-Baden, eine der wärmsten Gegenden Deutschlands.

1. Tag
Abfahrt "en homme" nach Freiburg. Unterwegs halte ich in Baden-Baden und frage, ob es noch eine Karte für die Verdifestspiele am Freitag im Festspielhaus gibt. Für Donnerstag hatte ich mir schon eine im Vorverkauf besorgt. Ich habe Glück!

Ankunft im Freiburger Etap Hotel kurz nach 15.00 Uhr. Einchecken per Automat. Ich will nach oben in den ersten Stock, da ruft mir eine freundliche Frauenstimme zu: "Herr Friedrich, Zimmer 118 ist im Erdgeschoss." Es war die Chefin des Hauses. Später habe ich mich ihr als Aimée vorgestellt mit der Bemerkung: Der Herr Friedrich hat sich etwas verändert. Sie hat es gelassen aufgenommen und gegrinst.

Nun in Stichpunkten: Beine und Gesicht rasiert, geschminkt, helles luftiges Kostüm angezogen, zum Schlosspark gefahren wegen Karten für ein Klavierkonzert, fällt aus wegen Krankheit, zurück in die Stadt, zum Theater im Augustinerhof. Gibt es noch Karten für Büchners Leonce und Lena? Ich stehe mitten in einer riesigen Warteschlange an der Abendkasse. Es hat geklappt. Tolle Aufführung. Auf dem Rückweg noch zwei Kugeln Eis gekauft zur Erfrischung und Abkühlung.

2. Tag
Einkaufsbummel durch die Kaufhäuser Freiburgs im blau-weißen, weiten Seidenrock mit blauem Top und weißer Jacke lose über der Schulter. Ohne Strümpfe. Herrliches Gefühl, wie der Rock beim Gehen sanft um die Beine flattert.

Im Verkehrsamt Stadtplan geholt, dann in die kühl klimatisierten Kaufhäuser C und A, Kaufhof und Karstadt. Auch im Freiburger Münster ist es angenehm kühl. In einem Innenhof mit Weinlaub, Efeu und einer wunderschön orange blühenden Kletterpflanze über drei Etagen, mit einem plätschernden Brunnen, angenehm im Schatten sitzend, verspeise ich eine Pizza mit zwei großen Spezis (mein Lieblingsgetränk).

Zurück im Hotel mache ich mich für den großen Abendauftritt im Baden-Badener Festspielhaus zurecht. Grau gemustertes doppelllagiges Seidenkleid. Ich freue mich auf die Oper Othello von Verdi mit dem russischen Mariinsky (Frau des Zaren Alexander II.) Theater aus Petersburg und dem russischen Dirigenten Valery Gergiev.

Es ist eine sehr heiße Fahrt bei 35 Grad. Da es in der Innenstadt keine kühlenden Kaufhäuser gibt (nur vornehme, teure Boutiquen und Schmuckgeschäfte), fliehe ich in die Stiftskirche. Übrigens gehe ich gerne in Kirchen. Da ist man allein, das doch in Wirklichkeit aufgeregte Herz findet zur Ruhe, ich finde zu mir selbst, frage mich, wer bin ich, was machst du eigentlich und bekomme die Gewissheit, dass Gott mich so geschaffen hat und mich annimmt, wie ich bin.

Nachdem das Make-up wieder etwas angetrocknet ist, schlendere ich hinunter zum Kurhaus. Auf der Kurhausterrasse genieße ich einen Eisbecher bei Originalmusik für Klavier mit Geige und Cello. Sehr romantisch.

Ich bin 1 Stunde vor Vorstellungsbeginn im Festspielhaus. Augen, Lippenstift und Make-up werden auf der Toilette etwas renoviert, da sie unter der Hitze doch etwas in Mitleidenschaft gerieten. Ich bewundere die Garderobe der Damen der oberen Gesellschaft. So manches Kleid hätte mir auch gestanden. Mit dem Programmheft fächele ich mir kühlende Luft ins Gesicht. Das habe ich den anderen Damen abgeschaut. Einige haben sogar richtige Fächer mitgebracht.

Othello (Gouverneur von Zypern) ist eine Verdioper mit einem vor blinder Eifersucht wahnsinnig wütenden Othello (Alexei Steblianko), geschürt von den Intrigen Jagos (Fedor Mozhaev), einem Fähnrich, der auf Rache sinnt, weil ein anderer als er, nämlich Cassio (Juri Alexeev), zum Hauptmann befördert wurde, bis zum Mord Othellos an seiner unschuldigen Ehefrau Desdemona (Tatjana Pavlowskaia) und dem Selbstmord Othellos, als er seinen Fehler erkennt. Erschütterndes Ende einer anfänglich großen und innigen Liebe.

In der Pause gehe ich auf die Toilette und ziehe mir die Strümpfe aus. Obwohl so dünn, machen sie bei der sommerlichen Hitze doch sehr warm.

Am Ende beim Ausgang erhält jede Dame eine Rose. Ob ich auch eine bekomme? Natürlich. Es hat in der Zwischenzeit zu regnen angefangen. Die Abkühlung tut gut, und ich erreiche das Etap Hotel in Freiburg um 0.30 Uhr.

3. Tag
Ich muss heute bis 12.00 Uhr das Zimmer verlassen haben. Da ich keine Gelegenheit am Tag mehr habe mich nass zu rasieren (meinen Trockenrasierer habe ich zu Hause vergessen), muss die einzige Rasur den ganzen Tag halten. 10-11 Stunden geht das meistens problemlos und dann ist es sowieso dunkel und man sieht die Einzelheiten nicht mehr so deutlich. Also so spät wie möglich anfangen. Außerdem ist meine Haut schon etwas gereizt. So mache ich mich für das Frühstück ohne Rasur oberflächlich zurecht (sieht immer noch ganz gut aus). Im beigen Kostüm mit Schuhen, Tasche und Regenschirm im Tigerfelllook finde ich mich ganz apart. Nach dem Frühstück (der kleine Raum war ziemlich voll mit Gästen), kaufe ich bei Aldi Getränke und Obst und schaue mich bei Adler-Moden etwas um. Es gibt nichts, was mich begeistert hat.

Um 11.00 bin ich wieder im Hotel und mache mich zurecht für den zweiten Festspielabend. Auch das Abendkleid ziehe ich schon an, denn irgendwo im Wald oder auf einem Parkplatz oder sonst wo wollte ich mich nun wirklich nicht umziehen.

Da ich viel Zeit habe, fahre ich die Landstraße durch den Schwarzwald. In Titisee sind es 23 angenehme Grad, bedeckt, keine Schweißausbrüche wie gestern, und ich stürze mich in den Touristenrummel. Ein Laden nach dem anderen: Schwarzwalduhren, Schwarzwaldschinken, Schwarzwaldtrachten und was es sonst noch aus dem Schwarzwald gibt.

Auf der Terrasse des Cafe Becker finde ich einen netten Platz, die Bedienung ist umwerfend freundlich, und ich genieße ein Kännchen Tee mit Aprikosen-Käsekuchen. Das Trinkgeld fällt bei so viel Freundlichkeit reichlich aus.

Da ich schon mein langes Kleid für den Abend anhabe, bin ich etwas overdressed unter den leger gekleideten Touristen. Trotzdem fühle ich mich wohl.

Es geht weiter über die Uhrenstraße nach Offenburg und dann die Autobahn nach Baden-Baden. Unterwegs muss ich noch Benzin an einer Autobahnraststelle tanken. Mein Vorgänger braucht etwas lange beim Bezahlen und ich muss warten, bis die rote Lampe an der Zapfsäule erlischt und die Anzeige wieder auf Null steht. Ein Autofahrer hinter mir sieht das nicht und gibt mir Zeichen, ich solle doch endlich tanken. Sicher denkt er: "Typisch Frau!" Worauf ich ihm Zeichen gebe, er solle mal auf die rote Lampe schauen. Da grinst er und hat verstanden.

Wieder in Baden-Baden schlendere ich durch die Lange Straße, die vornehme Einkaufsstraße. Bei Douglas will ich Nagellackentferner kaufen. Ich finde keinen, die haben wohl nur Parfüm, also hole ich Hilfe bei einer netten Verkäuferin. Mit der Bemerkung "ich habe hier noch einen Probeduft für Sie" steckt sie mir zum Schluss noch eine kleines Fläschchen in die Tüte und wünscht mir noch einen netten Abend. In der Schmuckabteilung eines Kaufhauses (ich habe dann doch eins entdeckt) finde ich eine Perle als Ohrclip für DM 15,-. Die kaufe ich für den Opernabend. Ich habe nämlich festgestellt, dass die Damen fast alle sehr dezenten, fast unauffälligen (natürlich echten, teuren) Schmuck tragen, nicht solch protzigen Modeschmuck. Und die Perlen sehen tatsächlich echt aus. Im Modehaus Wagner probiere ich ein großblumiges, buntes Kleid an. Es sieht toll aus, trotzdem für einen TV und besonders meine Größe (46) viel zu wuchtig und auffallend. Unbedingt auffallen möchte ich ja nicht, sondern fast unerkannt als "Frau" durchgehen.

Die Kurhausterrasse kenne ich schon. Also gehe ich um 18.00 Uhr noch mal hin, sitze dort mit einigen älteren Herrschaften und trinke ein Kännchen Kaffee. Ich hoffe, ich schlafe bei Macbeth nicht wieder ein, wie gestern Abend. Einige andere vornehme Herrschaften sind schon zum Abendessen gekommen. Mit meiner Abendgarderobe falle ich hier, wie auch in den Straßen von Baden-Baden nicht auf. Alles ist vornehm. Die Kellnerin ist wieder dieselbe und bedient mich höflich. Das Trinkgeld ist dementsprechend. Als TV möchte ich in jedem Fall und überall einen guten Eindruck hinterlassen. Nur so können wir etwas zur Imagepflege und Anerkennung beitragen.

Ich fühle mich wohl unter der etwas vornehmen Gesellschaft. Sie ist zurückhaltend, gafft nicht so und starrt einen nicht so an oder hinterher, wie dies oft junge Leute ungeniert tun. Letztere meinen oft lachen zu müssen, oder einen dummen Spruch loslassen zu müssen. Ebenso zurückhaltend ist das Theater- und Opernpublikum. Kaufhäuser, Cafe/Restaurant, Opern- und Theaterhäuser sind meine liebsten Aufenthaltsorte.

Wo ist denn die Duftprobe von Douglas? "Angel" heißt sie. Die probiere ich gleich noch aus.

Macbeth ist eine Oper von Verdi, bei der es mir an mehreren Stellen kalt den Rücken runterläuft. Machtbesessen und angestachelt von seiner noch machtbesesseneren, blutrünstigen Frau und beeinflusst von den Prophezeiungen der Hexen, mordet er einen nach dem anderen, um auf den Thron Schottlands zu kommen und um diesen Platz auch zu halten, bis er zum Schluss dann doch selbst umgebracht wird (da hat er zwei Prophezeiungen leider missverstanden) und die Lady Macbeth wahnsinnig wird und Selbstmord begeht. Phantastische russische Sänger, ein ausgezeichneter Macbeth (Sergei Murzaev) und eine überragende Lady Macbeth (Irina Gordei), toller russischer Chor mit Orchester (Mariinsky-Theater St. Petersburg). Dirigent ist wieder Valery Gergiev.

Ob es heute wieder eine Rose für die Damen am Ausgang gibt? Natürlich. Jetzt habe ich zwei Rosen, eine rote und eine gelbe (in einer Wasserflasche).

In zwei Stunden sind die wunderschönen Tage als Aimée zu Ende. Ich bin wieder zu Hause, es ist 1.00 Uhr, die Maskerade fällt, ich schlafe ganz schnell ein und am Morgen hat mich der Alltag wieder.

Die beiden Rosen schenke ich am Morgen meiner lieben Frau. Sie hat sie viel eher verdient, ist sie doch eine richtige Frau und hat mir diese Traumtage in einer Traumwelt ermöglicht.

Danke!

 

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