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25.11.99
Feuilleton

Kinder von Kalamata 

Zurück vom griechischen Filmfest / Von Herbert Achternbusch 

Nach gGriechenland zu gehen, um sich dann über den Wein dort und das Bier zu unterhalten, das bringt nichts, allemal ist es besser, über die Touristen zu lästern, aber auch das bringt einen nicht in Schwung. Wo sind sie die Touristen, die ich meine? Weit hinter dem Taygetos und noch dazu sind 28 Jahre dazwischen. Nun, ich verwechsle meine Familienmitglieder noch nicht wie Epaminondas, Lysander, Leonidas und andere griechische Feldherren, jedoch in ihrer Wirkungslosigkeit auf mich gleichen sie ihnen. Man kann ihnen nichts Gutes tun, zu verkürzt sind sie in sich. Aber ist man nicht froh, wenn die Kinder zurechtkommen? Froh? Sie haben zur Welt nichts zu sagen und reihen sich getrost in die Masse derer ein, die mit dem Handy am Ohr über die Welt trampeln, nichts sehen und keine Ahnung haben, dass nichts so zu ist wie die Zukunft. 

Das sind keine schönen Gedanken, keine wahren Gedanken. In einer unumwunden verlogenen Stadt entstehen sie in mir. Ich muss weg! Wohin? Seit Monaten male ich Bilder mit altgriechischen Motiven, allem Altmodischen zu entrissen. Ich sage nur Wildpark Poing, eine der Münchner Attraktionen im Osten, wohin man mit Kindern gehen kann. Inmitten des struppigen Waldes ein ausgelassener Kinderspielplatz. Bissiger Wind, schneidender Sonnenschein, zerzaustes Herbstlicht, struppige Wildschweinchen, gelbliche Forellen, eitrige Keulen liegen tot im seichten Wasser, schlafende Füchse oder eingeschläferte? Einmal und nie wieder, lange genug hinausgezögert! Und der Zug der trögen Leute, voll der Automüdigkeit haben sie ihre glänzenden Büchsen verlassen und schleppen sich mit ihren lästigen Kindern durch den Park, wie sie doch den holzgeschnitzten Politikern entsprechen. Wenigstens einmal sehen mich meine Kinder an, weil ich so offensichtlich leide. Leise weint die Jüngste vor sich hin, weil sie nicht zu ihrer Mutter zurück will. 

Das zweite Jahr keinen Film gemacht, wozu auch? Und morgen fliege ich nach Griechenland, zum griechischen Wind, zum vertrauten Wellenschlag des Messinischen Meeres, nach Kalamata im Süden des Peloponnes. Werden Hotelfelsen den Strand verstellen? Nein. Wird die alte Apostelkirche noch stehen? Ja. Und die Palme steht an ihrem Platz. Ich erkenne noch einiges. Am vertrautesten sind mir die Wärme, die Katzen, die um die Wette rauchenden Griechen. Man muss ein Recht haben, wenn man schon auf der Welt ist und nicht auf dem kürzesten Weg von ihr verschwinden kann, dass einen die Landschaft fasziniert, die Stadt unterhält und sich die Regierung Gedanken macht, dass einen die Sorgen nicht erdrücken. Die Aufgaben der Religion, der Kunst, Freude zu spenden, wer nimmt sie noch wahr? Wer kann noch frischen Mutes Trost erzeugen und spenden? In der Frühe hat selbst der Presslufthammer, der sich mit einem Trottoir beschäftigt, etwas Versöhnlicheres wie bei uns. 

Aus den Augen leidend 

Gleich begegnet mir Lefteris Xanthopoulos. Als ich ihm sagte, in meinem Film „Neue Freiheit“ ginge es unter anderem um die Aufteilung Deutschlands an die Nachbarnationen, fand er das sehr interessant, wollte sich den Film ansehen. Ich sagte, das ist etwa so, als ob Kreta zu Ägypten käme, da schwieg er und sah sich meinen Film nicht an. Andreas Ströhl war mit seinem Filmchen über mich und Kaurismäki vertreten. Auch Robert Manthoulis war da, blond und sehr gepflegt, bebartet, einsam, klein und bescheiden, aus den Augen leidend. Ich hatte ja gerade ein englisches Buch gelesen, in dem die Augen des Helden mit Pisslöchern im Schnee verglichen wurden. Sein Film „My Own Jaffa“ war dokumentarisch mit eingesetzten Figuren, etwas mühsam, als fehlte es an Dokumenten, mit den Schnitten war etwas sehr Interessantes, wollte ihn fragen, aber das Englisch der Griechen ist kaum von ihrem Griechisch zu unterscheiden. 

Als man mich fragte, was mich an Griechenland stört, sagte ich, dass man andauernd griechisch spricht. Eine jede Nation hat etwas Erfundenes. Nun kommen wir zu Ninos Feneck Mikelides, dem Festivalleiter. Er ist aus Cypern und leitete das Symposion: „The documentary in the 21st Century“. Es handelte sich um ein Dokumentarfilmfestival, ein internationales, das erste, in Kalamata im Süden des Peloponnes. Dann noch der kleine Frederick Wiseman, der als der beste lebende Dokumentarfilmer gehandelt wurde. 4 Sätze redete ich mit ihm. Ich will nicht an der allgemeinen Redseligkeit teilnehmen. 

Ich frage Wiseman zu seinem Film „Law and Order“. Ob man so auch heute noch mit der Polizei bei ihren Einsätzen drehen könne? Yes. Ob er die Pickups mit einer zweiten Kamera gedreht hätte. No. Do you cut the way of the zoom? Yes. Er war klein und lustig und dominierte. Als einziger stand er bei der Preisverleihung nicht mit der üblichen Geschlechtsschutzhaltung der Männer auf der Bühne. Mikelides war schon 1980 auf den Berliner Filmfestspielen, er erinnerte sich an den Tiroler Hut meines Films Der Neger Erwin. Er erzählte mir alles über Cypern. Es ist schrecklich. Aber ist nicht alles schrecklich, was den Griechen geschieht? Am meisten leiden die linken Griechen. Sie könnten sich wegen des Nato-Einsatzes im Kosovo fast aufhängen oder erwürgen. Ich verstehe auch nicht, dass man den Tyrannen nicht einfach umbringt und dem Täter ein Denkmal setzt. Die Todesstrafe akzeptiert man, den Tyrannenmord nicht. Wie oft muss man diese Blödigkeiten noch durchspielen? 

Wie ich als einziger Spielfilmer zu den Dokumentaristen gekommen bin, weiß ich nicht, aber so daneben zu sein, gefiel mir. War ich ein Ehrengast? An der Jury hätte ich teilnehmen können. Ich hätte den 1.  Preis Eva Stephanis zugesprochen: „Visits to E. Ch. Gonatas“, ein Schriftsteller, der ein sehr schmales Werk sein eigen nennt. Aber was hätte ich mir alles als Jurymitglied ansehen müssen! Mit einem Leihauto fuhren wir über den Tagetos nach Sparti. Auf der Höhe der Schlucht, in die die Spartaner ihre missgebildeten Geburten legten, merkte ich, dass das Benzin zur Neige ging. Ich wollte immer schon einmal wissen, was die Spartaner unter missgebildet verstanden, waren das offensichtliche oder eingebildete Körperfehler, oder befürchtete man geistige Deformationen, die man magisch auslegte? Ich gebe diesem Gedanken der Auswahl nicht nach, auch nicht, wenn ich mich durch den Bevölkerungssalat der Münchner Innenstadt nach einem Eindruck von Stärke sehne und mich frage: Welche Katastrophen müssen über uns kommen, damit die Vernunft aus den tausend Attributen, die uns umgeben, sich wieder in die Menschen wagt?! Was wird nur aus uns ohne so eine Renaissance?! 

Heidentum handfest 

Im Museum in Sparti, das ein Däne erbaut hat, die übliche Friedhofsstimmung. Halb 15 Uhr, man will schließen. Auf dem Rückweg war Mistra nicht zu vermeiden, eine Hochburg der griechischen Orthodoxie. Sind die filigranen Mäuerchen nicht dem Gespinnst der Theologie gleichbedeutend? Die Grundlagen des Heidentums waren handfest: mit der Demokratie wollte man Zeus gefallen, sein Entgegenkommen zu bewirken, war das Höchste. In allem suchte man die schönste Ordnung und machte, nicht überheblich zu sein, wie aus Übermut Fehler. In Mistra, fern von Byzanz versuchte der Richter Plethon die Götter der Vernunft wiederzubeleben, doch erst 1439 fand er in Florenz bei Cosimo di Medici und seinem Kreis Gehör, was zur Gründung der „Platonischen Akademie“ führte, deren Mitglieder Griechisch lernten, um Platon im Urtext zu lesen. So steht es im Reiseführer und so begann die Renaissance. Und heute? 

Soweit ich mit den Leuten sprach, verstand ich mich gut mit ihnen. Gleich nach der Ankunft sagte ich zu Mikelides, dass ich nicht an den guten Film glaube. Erstaunt fragte er mich, woran ich dann glaube. An die Zukunft, sagte ich und ließ den Wurm in ihm bohren. Nach der Eröffnung dieses Festivals, das in die Welt gerufen wurde, den Tourismus in Lakonia zu beleben, übrigens sagte das allein der Pope in seiner Eröffnungsansprache unumwunden, war man immer von seinesgleichen umgeben, wenn man wollte. Wie sonst überall verteidigten die Filmemacher ihre Pfründe. Ich sagte in einer Diskussion, dass ich nicht des Geldes wegen Filme mache, da schwieg man betreten, wovon ich lebe, wollte keiner wissen. Hatte ich ein Tabu verletzt? 

Mochten die Griechen, nachdem sie ihre Kraft verlassen hatte, die besten Händler werden, Krämer waren ihre Vorfahren nie. Handel war nicht verpönt, aber doch nicht der Gipfel menschlichen Daseins. Kalamata ist eine Krämerstadt und macht nichts von sich her. Ich kenne es seit 1971 und habe bei jedem Erdbeben mitgelitten. Und immer kaufte ich auf dem Viktualienmarkt Kalamataoliven, die wirklich die besten sind. Ach, und die Olivenbäume, die so beredte Schar der Verschwiegenheit. Immer tun sie, als rennten sie hin und her und halten doch so fest die Erde zusammen. Auch schöne Frauen frequentierten das Pneu, wie wir das Kulturzentrum nannten. Schöner als ehemals, weil bewusster und nicht mehr so kartoffelig wie die Irinnen oder Waldviertlerinnen, in Schwarz usw. stellte ich fest, dass mich die eine an meine frühere Frau erinnerte, die andere an meine Tochter, wenn sie älter ist usw. Doch die im roten Kleid wird nur schön sein, weil sie die im roten Kleid ist. Doch auch ohne rotes Kleid war sie die Unvergleichliche, die Eine. Immer hielt sie meinen Blick ein wenig länger aus wie andere, und sagte mir damit, dass sie meinen Blick bewusst aufgenommen hat. Aber was sagte mein Blick? Ihr herbstblondes Haar, ihre gleitenden Tanzbewegungen des sachten Körpers, ihre aufrechte Haltung, das leicht angezogene Kinn, stolz und frei von jeder Arroganz. 

Überraschend war sie in der Schlussveranstaltung, warum überraschend? Ich prostete ihr zu. Sie kam zu mir an den Tisch, sie forderte mich zum Tanz auf. Mein Herz wollte schmelzen. Selbst von der Tanzfläche forderte sie mich auf, zu ihr zu kommen, das weiche Spiel des alten Olivenbaums zu beginnen. Sie war eine echte Griechin. Warum tanzte ich nicht mit ihr? Kann man sich vorstellen, dass ein Spartaner mit einer Frau tanzt? Aber als mich der kleinliche Filmminister zum Tanz aufgefordert hatte, lehnte ich ebenfalls ab. You are great, sagte ich noch zu ihr, sie bedankte sich und sagte mir ihren Namen. Was hatte ich es so eilig, zog mich das Tempelkraftzentrum von Tegea so unwiderstehlich an? Die Frau sei eine gomena, sagte man mir, aber nicht, was eine gomena sei. 

Es gibt einen schönen Augenblick im nächtlichen Aulis mit einem zähen Tintenfisch. Es gibt einen irgendwie angenehmen Augenblick mit einem Kaffee in Mantova, einen widerwärtigen mit einem Nasi Goreng, das ich in Pokhara unter den Tisch gekotzt hatte, und alle Augenblicke hängen an einer Kette, jedoch im Museum von Tegea auf der Heimreise wusste ich, wenn ich jetzt nicht das Stärkste erlebe, treibt ein Wahnsinn mich in die Verzweiflung. Da sah ich den Tempel liegen in all seiner Stärke. Der Spartaner in mir brauchte das. Die Moral von der Geschichte: Hütet euch vor der griechischen Antike! Der Käs von irgendwo ist auch nicht schlecht. 

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